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Für das zweiteilige Projekt »Über | Gabe« im Juli und Oktober 2011 lädt der Kunstverein Hildesheim künstlerische Positionen ein, die verschiedene Aspekte des Schenkens, Bereitstellens und des Tauschens thematisieren.

Im Gegensatz zur ökonomischen Transaktion, die durch den Tausch von Geld gegen Ware abgeschlossen wird und keine Erwiderung nach sich zieht, erscheint das Geschenk jenseits ökonomischer Logiken prinzipiell unbezahlbar und kann nur durch ein Gegengeschenk erwidert werden. Der Austausch von Gaben basiert folglich auf intersubjektiven Prinzipien, die in menschlichen Primärbeziehungen ausgehandelt werden. Diese Aspekte der Reziprozität sowie der sozialen Bindungsfunktion des Schenkens stehen im Fokus von »Über | Gabe«.

Sobald etwas aus den Händen eines anderen in Empfang genommen worden ist, ändert sich sein Status vom bloßen Gegenstand zum individuell besetzten Geschenk, dessen Wert nicht mehr objektiv bestimmt werden kann. Der Akt des Schenkens eröffnet vielmehr einen subjektiven Erwartungsraum zwischen Schenkendem und Beschenktem und generiert einen offenen Zyklus des Gebens, Nehmens und Erwiderns. Das Überreichen einer Gabe zieht somit eine auszuhandelnde Situation nach sich, in der sich beide Parteien über Annahme, Ablehnung und Erwiderung zueinander positionieren.

Die soziale Praxis des Schenkens wird dabei nicht immer als positive Handlung und Geste erfahren. So begegnet man Geschenken von Fremden tendenziell mit Misstrauen oder fühlt sich in die Pflicht genommen, nachdem man ein Geschenk angenommen hat. In Form von Giveaways, Prämien oder Gratisbeigaben ist das Geschenk auch Teil jener ökonomischen Strategien, denen es seinem Grundprinzip nach widerspricht. Die Praxis des Schenkens stellt somit eine hybride Mischung dar von Gabe und Ökonomie, von Freigebigkeit und Eigennutz, Freiwilligkeit und Zwang.

Die Geste des Schenkens bietet als paradigmatischer Akt der Gegenseitigkeit Anlass zur Untersuchung weiterer Formen des nicht kommerziellen Austauschs von Waren und Handlungen. Strukturen des Anbieten, Markierens und auch Infiltrierens von Gaben können dabei ebenso betrachtet werden wie Prozesse des Überreichens, Annehmens und Reagierens auf kostenlose Angebote.

Ausgehend von der Ebene direkter zwischenmenschlicher Interaktion soll über die gesellschaftlichen Implikationen des Gabentauschs nachgedacht werden. Dem zugrunde liegt die Annahme, dass der Austausch von Geschenken auf komplexe Strukturen sozialer Systeme wie Machtverhältnisse, Intentionen, Konventionen, Abhängigkeiten und Geltungsbedürfnisse referiert.

In der Ausstellung »Über I Gabe« im Oktober, dem zweiten Teil des Projekts, präsentiert der Kunstverein Hildesheim das Thema in Form künstlerischer Beiträge. Den Auftakt des Projekts bildete im Juli 2011 das »Gastmahl«, ein diskursives Begegnungsformat, bei dem sich Künstler, Kunsttheoretiker und Gäste zum Thema des Gebens, Nehmens und Erwiderns in Kunst und Leben austauschten. Während des Ausstellungszeitraums vom 29. Oktober bis 17. November werden nun dieselben Künstler sowie zusätzliche Positionen im Kehrwiederturm Installationen, Videos, Fotografien, Performances und Künstlergespräche präsentieren.

Die Installationen »Just another ordinary day« von Julia Dick und »Schenk mich« von Katharina Sandner fordern den Betrachter zum aktiven Austausch mit seinem Umfeld heraus. Die für ihre partizipativen Performances bekannten Künstlerinnen haben ihre Solo-Arbeiten eigens für »Über I Gabe« entwickelt. Das Video der Intervention »I just want to give you money« des Medienkünstlers Ivan Argot thematisiert das Misstrauen gegenüber der »milden Gabe«. Die junge argentinische Künstlerin Florencia Alirón hingegen arbeitet in ihren Fotografien mit dem Farb- und Formenreportoire von Gabentischen und Geschenkverpackungen.

In einem innerstädtischen Ladenlokal bietet Markus Gustav Brinkmann den Bürgerinnen und Bürgern an, ihm ihr Geld zu geben. Für seine Arbeit »Keine gute Tat« hat er die Gegenleistung auf Null gesetzt. Den genauen Ort, die Modalitäten und die Öffnungszeiten erfahren Sie auf www.kunstverein-hildesheim.de.

Das oberste Stockwerk des Kehrwiederturms wird nacheinander performative Formate, Installationen und Künstlergespräche dreier unterschiedlicher KünstlerInnen beherbergen: vom 28. Oktober bis 2. November wird hier Christin Lahrs Arbeit »MACHT GESCHENKE: DAS KAPITAL – Kritik der politischen Ökonomie«, (WORK IN PROGRESS 2009 – 2052) zu Gast sein. David von Westphalen bespielt vom 4. bis 9. November den Raum mit seiner kulinarisch-philosophischen Performance »Es gibt Fisch«. Am 11. November schließlich erzählt die Künstlerin Antje Schiffers in einem Vortrag von Tauschgeschäften, Hammelfett und Unternehmensberatern.

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ÜBER I GABE
Angebot, Austausch und Gegenseitigkeit als künstlerische Strategie
Kuratoren: Kayte Kappel Rovira, Lisa Schmidt

Künstler: Florencia Almiron, Ivan Argote, Markus Gustav Brinkmann, Julia Dick, Christin Lahr, Katharina Sandner, Antje Schiffers, David von Westphalen