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Eröffnung: 27. Februar, Projektpräsentationen 19.00 Uhr

KünstlerInnen: Kristina Ask / Christian Hillesø / Mads Rasmussen / Mia Rosasco, Alexandra Croitoru, Rainer Ganahl, Lise Harlev, Christoph Keller, Thomas Korschil / Eva Simmler, Uriel Orlov, Ingrid Wildi Merino

Die „Vielfalt in der Einheit zu leben“ heisst es in der Präambel der Schweizer Verfassung in Anspielung auf ein Zitat von Gottfried Keller. Ein wesentliches Element dieser Vielfalt ist die offizielle Viersprachigkeit des Landes. Anders als die meisten anderen Länder definiert sich die Schweiz nicht über eine Sprache und Kultur, sondern deren vier: „Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch“ lautet der vierte Artikel der Bundesverfassung. Die offizielle Viersprachigkeit ist aber in den wenigsten Fällen eine individuelle als vielmehr eine territoriale. Die jeweiligen „Sprachterritorien“ sind abgesehen von wenigen Städten und Gemeinden weitgehend „einsprachig“ und weisen auch unterschiedliche „kulturelle“ Prägungen auf, die sich zum Beispiel auch am Abstimmungsverhalten beobachten lassen. Ausdruck dieser territorialen Mehrsprachigkeit ist unter anderem die Rede vom so genannten „Röstigraben“.

In diesem Bild von der mehrsprachigen Schweiz kommt nur die offizielle Viersprachigkeit zum Ausdruck; darüber hinaus werden aber bis zu 50 weitere Sprachen gesprochen. Rund 20 Prozent macht der Anteil der Menschen ohne Schweizer Pass an der Bevölkerung aus, zuzüglich der Personen, die sich mittlerweile haben einbürgern lassen. Mit den Eingewanderten sind auch weitere Sprachen in das Land gekommen – mittlerweile können mehr Personen Albanisch, Portugiesisch oder eine slawische Sprache sprechen, als Rätoromanisch. So vermerkt das Bundesamt für Statistik an vierter Stelle der meistgesprochenen Hauptsprachen der Wohnbevölkerung in der Schweiz die vage Kategorie „übrige Sprachen“ mit 9%. Diese Gruppierung stellt nach der deutschen, französischen und italienischen und vor der spanischen, kroatischen und serbischen die grösste Gruppierung dar. Zu den meistgesprochenen „übrigen Sprachen“ gehören Tamil, Arabisch, Niederländisch, Russisch, Chinesisch, Thai sowie viele (west)afrikanische Sprachen. Jede dieser Sprachen hat in ihrer Vertretung in der Schweiz eigene spezifische Gründe und eine eigene Geschichte, welche sich durch die pauschale Kategorisierung „übrige Sprachen“ nicht annähernd wiedergeben lässt. Die offizielle Viersprachigkeit, ist also schon lange einer Sprachvielfalt gewichen.

Die Vielsprachigkeit in der Schweiz fächert sich aber auch weiter auf, wenn man sich die einzelnen Kategorien der offiziellen Viersprachigkeit genauer ansieht. So gibt zwar zum Beispiel die Mehrheit der Befragten Deutsch als Hauptsprache an, aber innerhalb dieser Gruppierung bestehen weitere Differenzierungen. Zum einen zwischen dem so genannten „Schriftdeutsch“ und dem Schweizerdeutschen und zum anderen innerhalb dieser Kategorie zwischen den vielen regionalen Dialekten. Nach einem statistischen Bericht des Kantons Zürich über die Sprachlandschaften im Kanton geben über zwei Drittel der Befragten an, im privaten Bereich ausschliesslich Mundart zu sprechen und auch im Erwerbsleben und in der Schule liegt dieser Anteil noch bei knapp 70%. Zur so genannten Diglossie, welche eine Form der Zweisprachigkeit ist, bei der die eine Sprachform die Standard- oder Hochsprache darstellt, während die andere im täglichen Gebrauch, in informellen Texten auftritt und im konkreten Fall den notwendigen Erwerb von Schriftdeutsch und Schweizerdeutsch beschreibt, kommen zusätzlich noch die teilweise ausgeprägten Unterschiede zwischen den jeweiligen Dialekten. Auf Grund der Sprachvielfalt ist der Alltag vieler Menschen in der Schweiz von permanenten Übersetzungsprozessen geprägt.

Der zweite Teil der Projektlinie Übersetzungsparadoxien und Missverständnisse möchte hier ansetzen und Fragen im Hinblick auf die Schweizer Situation spezifizieren, die im ersten Ausstellungsteil bereits vorskizziert waren. Eine Reihe von „Mikro-Recherchen“, Videoarbeiten und eine raumgreifende Audioinstallation setzen sich mit der Vielsprachigkeit, sprachregionalen Schweizerischen Phänomenen, Problemen, Widerständen im Alltag und in sprachpolitischen Strukturen auseinander. Mit „Mikrorecherchen“ bezeichnen wir diese künstlerischen Arbeiten, da sie einen Recherchezwischenstand skizzieren, eine visuelle Form zur Disposition stellen aber gleichzeitig zu weiteren Fragen und möglichen Weiterforschungen einladen.

Rainer Ganahl beschäftigt sich in seiner künstlerischen Praxis seit langem mit Sprache und ihrem Einfluss auf Identität sowie soziale und politische Zusammenhänge. Für seine neue Arbeit Züridüütsch hat er mehr als 25 Interviews mit Personen über ihren Zugang und ihre Prägung durch den lokalen Dialekt geführt. Auch Ingrid Wildi untersucht Sprache, kulturelle Identität und soziale Zugehörigkeit. Das Projekt Muertos Civiles ist die Fortsetzung ihrer vorherigen Forschungen über die so genannte illegale Einwanderung. In einem Workshop mit San Papiers analysierten sie gemeinsam den Film Welcome Europa von Bruno Ulmer. Dabei standen Fragen nach filmischer Repräsentation und der eigenen Situation im Alltag in Zürich im Vordergrund. Uriel Orlow hat das kommunikative Ensemble des legendären Kaffeehauses Odeon genauer angeschaut und im Rahmen eines Gespräches Gäste und Akteure verschiedener Generationen des Odeons zusammen an einen Tisch gebracht, um über den Ort und die in und über ihn stattgefundenen Gespräche gemeinsam nachzudenken. Gleichzeitig kam es zu so etwas wie einer Art „Gegenwartsübersetzung“ des Ortes Odeons, wobei Erinnerungen in der gesprochen Sprache / Mundart Ausdruck finden. Lise Harlev hat in Zürich Spuren der Typografie Helvetica verfolgt, und ist Orten und Funktionszusammenhängen dieser Schrift nachgegangen. Helvetica lässt sich als eine Schrift verstehen, die sich im weitesten Sinn als „demokratisch“ bezeichnen liesse, da sie universell und multifunktional einsetzbar ist und aus diesem Grund weltweit äusserst vielseitig verwendet wurde. Die Schrift ist damit auch ein Medium der Kommunikation, die für und in Kontexte übersetzt. Alexandra Coituro hat sich mit der Frage von Übersetzungsmotivationen aus dem Rätoromanischen ins Rumänische sowie dem Rumänischen ins Rätoromanische beschäftigt. Im Sinne einer fiktionalisierenden und konstruierenden Geschichtsschreibung fragt sie nach Verbindungen, die über die linguistische Ebene hinausgehen und assoziativ zu weiteren Geschichtarchäologien auffordern.

Ergänzt werden die „Mikro-Recherchen“ durch eine Auswahl bereits bestehender künstlerischer Arbeiten: Der Film Artikel 7. Unser Recht! von Thomas Korschil und Eva Simmler ist eine Dokumentation über die wechselhafte Geschichte des Kärntner Minderheitenkonflikts, der sich unter anderem an der Aufstellung von zweisprachigen (Deutsch/Slowenisch) Ortsschildern in der Region entzündete. DICTIONARY ist ein kollektiver Versuch, Wörter, Sprachen, Ausdrücke, Bedeutungen, Ansichten und Redewendungen zu definieren und hat das Format eines quasi anarchistischen Taschenwörterbuchs. Christoph Keller beschäftigte sich mit dem Bereich des Simultan-Übersetzens. Seine Videoinstallation Interpreters verdeutlicht, dass es sich bei diesem Vorgang eher um eine Interpretation als um eine Übersetzung handelt, bei dem sich die dolmetschende Person quasi in die andere Person hereinversetzen muss. Der sprachliche Ausdruck von Gedanken changiert zwischen den Polen „Ich“ und der/die „Andere“.

Darüber hinaus bieten Audiokommentare der teilnehmenden KünstlerInnen, die in verschiedenen Deutschschweizer Dialekte übersetzt und eingesprochen wurden, an einem runden Konferenztisch vermittelnde Informationen zu ihren Recherchen. Quasi gerahmt oder besser unterlegt ist die gesamte Ausstellung von einer Audioinstallation welche auf die Situation der Vielsprachigkeit in der Schweiz verweist.

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Übersetzungsparadoxien und Missverständnisse, Teil 2

Künstler: Kristina Ask, Christian Hilleso, Mads Rasmussen, Mia Rosasco, Alexandra Croitoru, Rainer Ganahl, Lise Harlev, Christoph Keller, Thomas Korschil, Eva Simmler, Uriel Orlov, Ingrid Wildi Merino