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Das Tableau Vivant „Der Brief“ (Installation mit drei Videoprojektionen, DV, 2min 30s geloopt, schwarz/weiss, ohne Ton) ist die Diplom-Arbeit der Künstlerin Ulla von Brandenburg und wird hier zum ersten Mal im öffentlichen Raum präsentiert. Das auf Super 8 festgehaltene und auf DVD umkopierte Tableau Vivant zeigt 19 Personen, die in unterschiedlichen Gruppierungen eine aus verschiedenen Szenen collagierte Komposition bilden.

Ulla von Brandenburg kombiniert Versatzstücke unterschiedlichster Herkunft und Bedeutung und dokumentiert diese als Tableaux Vivants von Personengruppen auf Video, Super-8- oder 16mm-Film. Auch ihre Filme, Zeichnungen, Aquarelle, Zeitschriften und Wandzeichnungen zeigen soziale, diffus historisierende Gesten und Posen. Die Arbeiten basieren häufig auf Vorlagen aus Magie, Okkultismus, Hysterie, Krankheit, die anscheinend aus dem Fin de siècle stammen. Die Motive setzen Assoziationen zu Freuds Hypnose-Experimenten, parapsychologischen Erscheinungen, den Séancen der Surrealisten frei oder zeigen Requisiten aus Commedia dell’Arte und Zirkus, die theatrale Bezüge herstellen. Ihre Vorlagen findet die Künstlerin aber genauso in Western, Hochglanz-Magazinen, aktuellen Tageszeitungen oder Tarotkarten. Wie in den Tableaux Vivants kommt bei den Zeichnungen das Prinzip der Collage zum Einsatz: Präsentiert werden die Einzelblätter und Zeitungsausschnitte in Gruppierungen oder angedeuteten Bildstrecken.

Das häufig in den Arbeiten auftauchende Motiv der Maske lässt an die Masken Nietzsches oder den revolutionären Gebrauch der Geschichtsmasken denken, den Benjamin den Surrealisten unterstellt. Eine Maske ermöglicht einen emotionalen Freiraum für Darstellungen und eine reflektierende Distanzierung – so wie das Übertragen von Bildern in ein anderes Medium, das Collagieren oder die historisierende Darstellungsweise. Ulla von Brandenburgs Arbeiten beziehen sich nicht wirklich auf eine spezifische historische Phase, eher verhandeln sie die gewandelte kulturelle Bedeutung von Bild, Sprache und Repräsentation. Die formale Inszenierung und der Aspekt der Übertragung als solche werden betont: Blickachsen bilden ein strenges Kompositionsgefüge, die Posen und Gesten wirken theatralisch unnatürlich und prätentiös. Gegen die „Tyrannei der Intimität“ (Richard Sennett) biografischer künstlerischer Verfahren wird eine Feier der theatralen und artistischen Kompetenz gesetzt, die einen kultivierten Abstand ermöglicht.

Diese subtile Distanzierung von modernistischen, auf Expression und Subjektivität basierenden Konzeptionen der Autor- oder Meisterschaft und von dem Konstrukt einer reinen Visualität des Kunstwerks verweist auf Verfahren der Conceptual Art. Nicht die individuelle Handschrift des Künstlers steht im Vordergrund, sondern vielmehr die Rolle des Betrachters, der die Geschlossenheit des Werkes in der Rezeption herstellt. Die Tableaux Vivants nehmen oft den neutralen Hintergrund des White Cube auf, in dem sie präsentiert werden: In ihm schwimmen auch die Betrachter als entkörperlichte Augen – White Cube und Darstellungsraum gehen in einander über. Auf unsere laut Benjamin durch Flüchtigkeit und Wiederholbarkeit geprägte Wahrnehmungsweise antwortet von Brandenburg wie Warhol mit einem Dehnen des Moments: Nichts geschieht auf den Bildern. Die abgebildeten Figuren harren aus.

Anna-Catharina Gebbers

Pressetext

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Ulla von Brandenburg
„Der Brief“, 2004
Projektion im Öffentlichen Raum kuratiert von Anna-Catharina Gebbers
30.09.05, 20-24 Uhr
Schlesische Str. 26, Hof A, Halle im Erdgeschoss, Berlin-Kreuzberg