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Das Prinzip der Unschärfe ist seit den sechziger Jahren ein durchgängiges Merkmal in den Bildern von Gerhard Richter (*1932, Dresden). So wie Georg Baselitz dafür berühmt geworden ist, dass er seine Bildmotive auf den Kopf stellt, gilt als ein typisches Merkmal der Gemälde von Richter ihre auf den ersten Blick verschwommen- oder verwischt unscharfe Erscheinung. Dies betrifft Richters figürliche, in der Regel auf fotografischen Vorlagen beruhende Darstellungen von Figuren, Landschaften und Stillleben in gleicher Weise wie seine abstrakten Gemälde.

Hiermit verabsolutiert er ein Prinzip, das seit dem 15. Jahrhundert Eingang in die Malerei gefunden hat, wie zum Beispiel in der sfumato-Technik Leonardo da Vincis. Niemals jedoch ist die Unschärfe bisher so dominant und allumfassend aufgetreten, wie in den Gemälden von Richter. Als wesentliche Neuerung kommt hinzu, dass auch seine abstrakten Bilder in einigen Bildpartien oder zur Gänze unscharf wirken.

Seit Gerhard Richter ist die Unschärfe sowohl in gegenständlich-figurativen Gemälden als auch in abstrakten Bildern bei vielen jüngeren Künstlern zu einem konstituierenden Merkmal ihrer Malerei und Fotografie geworden. Die Ausstellung widmet sich zum ersten Mal diesem Stilprinzip in der Gegenwartskunst in einer umfassenderen Weise, indem sie Gemälde und Fotoarbeiten von zwanzig Künstlern, die nach 1960 geboren worden sind zusammen mit etwa zwanzig Gemälden und einem Film von Gerhard Richter zeigt. Insgesamt werden ca. achtzig Gemälde und Künstlerfotografien, sowie einige Installationen zu sehen sein. Als Teil der Bildrhetorik setzen die Künstler das Mittel der Unschärfe bewusst und in verschiedenen Kombinationen ein. Darin folgen sie Richter, der in seinen Gemälden bereits den unterschiedlichsten Aspekten der Unschärfe Gestalt gegeben hat. So gibt es zum Beispiel den Effekt des Weichzeichnens und Verschleierns, der romantisch-nostalgische Seherlebnisse erzeugt und den Bildern die Aura des Geheimnisvollen verleiht. Die Bewegungsunschärfe, die für den Fortschritt der Dynamik des modernen Lebens steht, speist sich aus ganz anderen, eher entgegen gesetzten Seherfahrungen.

Ein dritter Aspekt ist der der Bildstörung, die das Dargestellte so weit unkenntlich macht, dass sich das Sehbild bis zur vollkommenen Unidentifizierbarkeit auflösen kann. Diese Art der malerischen Darstellung, die zumeist von fotografischen Vorlagen ausgeht, stellt den als selbstverständlich geltenden Abbildcharakter der Fotografie in Frage. Gleichzeitig erweckt sie Zweifel, ob es sich bei dem betreffenden Gemälde um eine malerisch unscharfe Wiedergabe einer scharfen Fotografie oder um eine präzise gemalte Reproduktion einer unscharfen Fotos handelt. Zudem stellt die tendenzielle Auflösung des Sehbildes durch seine extreme Vergrößerung, Verpixelung oder Verwischung die Frage nach der wahren Wiedergabe der Wahrnehmungswirklichkeit und der Funktion des gemalten Bildes für unsere Wahrnehmung. Die Grade der Unschärfe in Malerei und Fotografie bilden den Grat zwischen Realismus (Klarheit und Eindeutigkeit) und Abstraktion in der Abbildung der Wirklichkeit. Sie machen damit auf die Doppelfunktion des Abbildens in der Spannung von naturgetreuer Wiedergabe und Autonomie der künstlerischen Mittel aufmerksam. In dieser Fähigkeit zur Vereinigung der Gegensätze ist die Unschärfe gleichsam ein Symptom der Postmoderne, wie Wolfgang Ullrich in seiner „Geschichte der Unschärfe“ (2002) schreibt. Als Teil der Bildrhetorik setzen die Künstler die verschiedenen Arten der Unschärfe in unterschiedlichen Kombinationen ein. Aber nicht nur in der Malerei und Künstlerfotografie gibt es einen regelrechten Boom unscharfer Darstellungen. Auch in der populären Bildkultur, wie zum Beispiel in der Werbung ist die Unschärfe zu einem populären Stilmerkmal geworden. Einmal mehr zeigt sich, wie sich Hochkunst und angewandte Kunst in unserer Kultur gegenseitig beeinflussen und durchdringen können.

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UNSCHARF
Nach Gerhard Richter
Kuratoren: Daniel Koep, Hubertus Gaßner

Künstler: Pablo Alonso, David Armstrong, Anna und Bernhard Blume, Michael Engler, Wolfgang Ellenrieder, Isca Greenfield-Sanders, Maxine Henryson, Nicole Hollmann, Bill Jacobson, Adam Jankowski, Tamara K.E., Wolfgang Kessler, Karin Kneffel, Peter Loewy, Marc Lüders, Ralf Peters, Qiu Shihua, Gerhard Richter, Ugo Rondinone, Johanna Smiatek, Thomas Steffl, Ernst Volland, Franziskus Wendels, Michael Wesely, Paul Winstanley.