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Victor Burgin, A Place to Read 29.4. - 11.6.2011

ARTIST TALK: Victor Burgin im Gespräch mit Thomas Wulffen über seine Arbeit „Bir okuma yeri / A Place to Read“ Freitag, 27.5.2011, 19 Uhr Campagne Première Berlin, Chausseestr. 116, Quergebäude, 2. OG Eintritt frei

Victor Burgin (geb. 1941 in Sheffield, England) hat sich in über vierzig Jahren als Künstler und Theoretiker international etabliert. Er entwickelte zunächst als Mitbegründer der Konzeptkunst Ende der 60er Jahre Ansätze zur Kritik der etablierten Kunsttheorien. Nachdem er sich ab 1969 für zwei Jahre ausschließlich der Sprache als künstlerisches Material bediente, erforschte er im Anschluss die komplexen Beziehungen zwischen Bild und Text. Burgins Arbeit entwickelt sich in einem politischen Kontext, in dem er ideologische Bedeutungen und persönliche Assoziationen mit der alltäglichen Verbreitung von Bild und Text verbindet. Seine Arbeiten befinden sich in bedeutenden Museumssammlungen, wie etwa dem Museum of Modern Art in New York und dem Centre Pompidou in Paris. Neben seiner künstlerischen Arbeit hat Burgin ein umfangreiches Werk theoretischer Schriften publiziert und mehrere Standardwerke zu Raum und Repräsentation - vor allem in Film und Fotografie - verfasst.

Anfang der 90er Jahre wendet sich Burgin der digitalen Videokunst zu, der er sich auf der Basis von fotografischem Material nähert, und setzt weiterhin sein Interesse an Methoden der Psycholanalyse, der Bedeutung von Erinnerung und Assoziation bei der Betrachtung fotografischer Bilder fort. Durch seine digitale Umwandlung nicht bewegter fotografischer Bilder zu bewegten Video-Bildern schließt er vergleichbar dem Blick durch ein Prisma, wie er betont, Narration, Erinnerung und Assoziationen ein. In den vergangenen Jahren hat Burgin in seinen Foto-, Text- und Videoarbeiten vor allem auf Städte und Gebäude reagiert, die er besuchte. Hierzu zählen Mies van der Rohes Barcelona Pavillon und Rudolph Schindlers Kings Road House in Los Angeles sowie das Flughafengebäude Tempelhof in Berlin.

„Bir okuma yeri / A Place to Read“ - digitale Projektion (Farbe, ohne Ton, Loop von 4’05“) und Wandtext - entstand im vergangenen Jahr anlässlich des Kulturjahres „European Capital of Culture“ in Istanbul. Ausgangspunkt des Werkes ist das Taṣlik Kahve, ein Kaffeehaus, gebaut von Sedad Hakki Eldem Mitte des vergangenen Jahrhunderts als Synthese ottomanischen Stils und der Moderne des 20. Jahrhunderts. Ende der 80er Jahre musste das Gebäude (und der umgebende Park) einem modernen Hotelbau weichen, wurde teilweise zerstört und in Teilen als Touristenrestaurant wiederaufgebaut. Burgin sieht das Gebäude als Allegorie der modernen Türkei: errichtet als ein öffentlich zugängliches, in der eigenen Tradition verwurzeltes modernes Kaffeehaus, das von einem westlich orientierten Globalismus hinweggefegt wird. Er entscheidet sich für eine ungewöhnliche Form der fotografischen Repräsentation und gibt die physische Kamera auf zugunsten einer virtuellen: Burgin stellt fotografisches Material zusammen, mit dem er ein 3D-Modell des Gebäudes erzeugt, in welchem er sich mit einer virtuellen Kamera bewegen kann. Auch auf der zweiten Ebene des Werks, der Textebene, die Burgin als umlaufendes Schriftband auf der Wand des zweiten Galerieraums präsentiert, verschränken sich in der Erzählung Fiktion und Realität. Burgin betreibt sein Bild- und Text-Werk als eine aus zahlreichen realen und fiktiven Inhalten bestehende „Ausgrabung“ des Gebäudes und präsentierte es folgerichtig erstmals im Archäologischen Museum der Stadt.