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Das Kunstmuseum Thun präsentiert die erste umfassende Einzelausstellung der französischen Künstlerin Vidya Gastaldon (*1974) und gibt Einblick in deren eigenwilliges zeichnerisches und installatives Schaffen. In ihrem Werk versprüht Vidya Gastaldon Heiterkeit, ihre Bildwelten sind geprägt von Landschaften, Regenbogen, Blüten, Herzen und Smileys. Die Künstlerin scheut sich weder vor dem vermeintlich Kindlichen noch vor dem vordergründig Dekorativen, aber sie treibt ihre Sujets weiter, indem sie in ihren Zeichnungen, Objekten und Installationen virtuos die unterschiedlichsten Elemente zusammenfügt und an nur allzu menschliche Sehnsüchte appelliert. Es wäre demnach viel zu kurz gegriffen, wollte man ihr Werk als realitätsfremde Sentimentalität interpretieren. Die Künstlerin stickt, strickt, knüpft, näht und komponiert Modellwelten aus textilen Materialien. Mit diesen teils als Steine, Pilze oder Pflanzen zu identifizierenden Objekten berührt sie ein Moment des Erinnerns. Beispielsweise verweist Baba le Shaman (2002) – ein treuherziges Ungetüm, irgendwo zwischen einer Geisterbahnfigur und einem überdimensionierten Spielzeug angesiedelt – auf die Sehnsucht nach dem Authentischen und Menschlichen. Die fetischhafte Qualität handgefertigter Dinge führt in Vidya Gastaldons Werk direkt zu Mystik und Spiritualität, und es ist ihre Absicht, Objekte mit einer positiven Energie zu schaffen. „Positive Thinking“, die lebensbejahende, optimistische Ausstrahlung, ist in all ihren Werken angelegt.

Eine besondere Stellung nimmt dabei die Arbeit Apparat-Dolly-Rocker (2004) ein, das „costume d'apparat“ (Prunkgewand) für einen Porsche. Vidya Gastaldon schmückt das Luxusauto als mittelalterliches Turnierpferd. Der Porsche als Lifestyle-Ikone verliert durch diesen Eingriff die Funktion des Sportwagens, denn in dieser würdevollen Aufmachung ist eine rasante Fahrt undenkbar. Das Gewand ist Schutz und Dekoration zugleich, eine weiche, sinnliche Hülle, individualisiert und inhaltlich mit Zeichen und Symbolen angereichert. Der samtene Überwurf zeigt psychedelische Regenbogenmotive auf der Kühlerhaube und Fantasiewappen auf den Türen. Das Porsche-Markenzeichen, das sich aufbäumende Pferd, wird bei Vidya Gastaldon zum lachenden Esel – mit feinem Humor holt die Künstlerin das prestigeträchtige Logo vom Sockel.

Ähnlich sind Vidya Gastaldons Zeichnungen zu entziffern. Formal handelt es sich meist um Landschaften in kleinem Massstab aus einer organischen, weichen Formenwelt, die fast ohne scharfe Linien auskommt. Inhaltlich sind die Zeichnungen eher imaginativ und das Formale wird überstrahlt: Aus einem kleinen Rasenstück wachsen farbige Blasen oder über einer flachen Landschaft erheben sich graue Wolken. Vidya Gastaldons Arbeit speist sich aus einem sehr persönlichen und subjektiven System von vielfältigen Referenzen und Bezügen. Sie pflegt einen spielerischen Umgang mit Zeichen aus Religion, Mystik und Alltagskultur. Dieser vielleicht wilde Mix kann als Versuch gelesen werden, eine Art universelle Bildsprache zu entwickeln. Die Künstlerin baut auf die Kraft archaischer Symbole und schafft mit vertrauten Motiven Wiedererkennungseffekte und Zugänglichkeit. Bei diesem Bemühen um Verständigung mutiert das Persönliche zu etwas allgemein Menschlichem: Die individuelle Prägung von Vidya Gastaldons Werk definiert sich eben in diesem Menschlichen und in der sich daraus ergebenden Weltanschauung, die sich auch an Erfahrungen mit östlichen Religionen orientiert. Die Künstlerin arbeitet in einem Geiste der harmonischen Koexistenz gepaart mit persönlicher Offenherzigkeit. Zur aktuellen Kunst hingegen schafft die Künstlerin keinen unmittelbaren Bezug. Tatsächlich fällt es schwer, Vidya Gastaldons Arbeit im zeitgenössischen Kunstkontext einzuordnen. Was ihre Position innerhalb der aktuellen Kunst abhebt, ist das Fehlen von Ironie. Mit Ironie wird inhaltliche Distanz geschaffen und die ironische Brechung ermöglicht Unverbindlichkeit – das passt nicht zur Ernsthaftigkeit von Vidya Gastaldons Arbeit. Aber die Künstlerin steht nicht alleine da, wenn es um eine subjektivistische Weltreflexion geht, die sich im Werk manifestiert. Zahlreiche jüngere Künstlerinnen und Künstler wenden sich heute von der Coolness der 90er Jahre ab und zeigen eine Affinität zu Spiritualität, Irrationalismus und Naturmystik. Die Abkehr vom Politischen und von äusseren gesellschaftlichen Realitäten führt zu inneren Welten, zu einer Kunst, die keine direkte Konfrontation sucht und weder kritisiert noch anklagt. Vielmehr werden innere Bildwelten voller Fantasie sichtbar gemacht, ein spiritueller Zugang zur Wirklichkeit gepflegt und die eigenen Sehnsüchte und Träume mit denjenigen des Publikums geteilt, wodurch sich eine neue Perspektive auf die Reflexion der eigenen Existenz eröffnen kann.

Vidya Gastaldon, geboren 1974 in Besançon, Frankreich, lebt und arbeitet in Genf. Die Künstlerin zeigte ihre Arbeiten bisher in Einzelausstellungen u.a. im Musée d’art moderne et contemporain, Genf (2005), Centre d’art contemporain, Genf (2003, 2001) und Kunsthaus Glarus (2001, zusammen mit Jean-Michel Wicker) sowie bei internationalen Gruppenausstellungen wie der Biennale de Lyon (2005), Triennale Vilnius (2005), „Le voyage interieur Paris- London“, Espace EDF Electra Paris (2005), „Herbstkatalog Lederfransen“, Kunsthalle Basel (2004) und „COMMENT RESTER ZEN“, Centre culturel Suisse, Paris (2003).

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Vidya Gastaldon