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Die Raumfahrt sucht die Begegnung mit dem großen Unbekannten, dem wirklich Fremden, das im unendlichen Raum nicht leicht entdeckt werden kann. Vom Universum lässt sich nie ein vollkommenes Bild gewinnen, denn der Kosmos bleibt in seiner Unendlichkeit unerschließbar. Zwar können die Raumfahrer neue Welten erkunden und erobern, zugleich aber werden sie in den Weiten des Alls sich ihrer Bedeutungslosigkeit bewusst. Da man in der Begegnung mit den extrem Fremden, den Aliens in der Regel auf eigene Wünsche und Ängste trifft, die diese verkörpern, ist diese Begegnung nicht zuletzt eine Konfrontation mit dem menschlichen Ich und seinen Bedürfnissen. Lassen diese sich nicht auf der Erde befriedigen, erscheint das Weltall als letzte Chance.

Mit der Theorie der Fluchtlinien definieren die französischen Philosophen Gilles Deleuze und Felix Guattari eine Möglichkeit, vorhandenen Machtstrukturen zu entfliehen. Dieses symbolische Ausweichen auf andere Planeten oder Sternensysteme kann einerseits als eskapistisch interpretiert werden, ist aber andererseits als eine Metapher für widersprüchliche Prozesse und als ein Symptom für soziale Konflikte und ökologische Krisen zu verstehen. So spiegeln sich in der Orientierung auf dem Weltraum die vorhandenen gesellschaftlichen Probleme wie Rassismus (die Idee der „african-american diaspora in outer space“ spekuliert mit der galaktischen Heimat von Afrikanern) und Sexismus (das Kunstprojekt „Mars Patent“ will z. B. unter dem Motto „Give Culture a second Chance“ Ausstellungen auf dem Mars ermöglichen, die im patriarchalen Kunstbetrieb so nicht realisiert werden können). Der Weltraum öffnet so einen Raum der Differenz. Für jene, welche die derzeitigen Lebensumstände (Energieverknappung, Umweltverschmutzung, Hunger etc.) für nicht ertragbar halten, wird der exterrestrische Raum zum Ort der Hoffnung und der Sehnsucht. In dem Spiegel „Weltall“ kommen auch die nicht artikulierten und unbewussten Bedürfnisse zum Ausdruck. Seine Möglichkeiten erscheinen unendlich wie seine Ausdehnung.

Nach Freud werden Fantasien und Konflikte der Kindheit auf Personen und Situationen des Erwachsenenlebens übertragen bzw. projiziert. Im allgemeinen Sinn kann man davon sprechen, dass der Begriff der Projektion einen Prozess beschreibt, eigene Vorstellungen und Wünsche auf andere oder anderes zu übertragen. Diese andere kann nicht zuletzt der Weltraum sein. Allein wenn man das unendliche Feld der Astrologie betrachtet, wird deutlich, dass der Sternenhimmel schon seit alters her ein Ort für Projektionen darstellt. Religiöse Bewegungen wie Scientology nutzen Erzählungen von außerirdischen Bewohnern als phantastische Basis ihrer Mythologie. Mit dem Wechsel von der astrologischen und religiösen Prognostik zur naturwissenschaftlichen Erforschung ist die Projektion von Sehnsüchten und Begehren auf das All nicht völlig verschwunden. Auch die Raumfahrt wird von Spekulationen und Wünsche angetrieben: vom Wunsch zu demonstrieren, die stärkste Nation zu sein bis zur scheinbar nicht ausrottbaren Hoffnung nach Leben im exterrestrischen Bereich. Gerade in den letzten Jahren ist ein neuer Boom um den Mars entstanden. Neben der Anhäufung von Marsflügen in Hollywoodfilmen, verstärken sich von verschiedenen Seiten die Bemühungen, den Mars zu erkunden. Auch Kulturproduzenten wie Damien Hirst oder die Band Blur beteiligten sich an der Marsexpedition 2003 der ESA, deren Landeinheit Beagle 2 jedoch verschollen blieb. Es ist dieser tägliche Blick in den Himmel. und damit die Begegnung mit dem Weltraum, die uns so anfällig macht, für Projektionen dorthin. Alle Visionen scheinen im Sternenhimmel fiktional erfüllbar. Man könnte in Anlehnung an Paul Feyerabend fast von einem „anything goes in space“ sprechen.

Die Ausstellung findet im Rahmen des Science & Art Festivals Phaenomenale statt. www.phaenomenale.com

Künstler: Guy Allott (UK), Armin Keller (D), Mars Patent (Helene von Oldenburg, Claudia Reiche) (D), Alexandra Mir (SE/USA), Mariko Mori (J), Elke Nebel (D), Thomas Ravens (D), Hina Strüver (CH), Bas Zoontjens (NL)

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Weltraum Als Fluchtlinie
Kuratoren: Justin Hoffmann, Anne Kersten

Künstler: Guy Allott, Armin Keller, Mars Patent  (Helene von Oldenburg, Claudia Reiche), Aleksandra Mir, Mariko Mori, Elke Nebel, Thomas Ravens, Hina Strüver, Bas Zoontjens