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Paul Thek war 25 Jahre alt, als Luc Tuymans im Jahr 1958 geboren wurde; als Tuymans 30 Jahre alt war, starb Thek. Trotz großer Ausstellungen in den wichtigen Museen der Welt verharrt das Werk von Thek in unüberwindlicher Ferne. Es galt als Beispiel für eine „private Mythologie“ (Documenta 5, 1972) und ist selbst zum Mythos geworden; Thek wird als „Artist's Artist“ bezeichnet. Das Werk von Tuymans hingegen steht mitten in der gegenwärtigen Aktualität, doch nur, indem es auf seinem Anachronismus besteht. Es will als „authentische Fälschung“ verstanden werden, gibt sich von vornherein veraltet, den unabschließbaren Momenten der katastrophischen Geschichte und einer Gegenwart zugewendet, die bereits von ihrem künftigen Verfall angehaucht ist.

In der Ausstellung „The Reality of the Lowest Rank“ in Brügge (2010) waren nahe beieinander Arbeiten von beiden zu sehen. Tuymans war für diese Ausstellung verantwortlich und hat als Titel einen Ausdruck von Tadeusz Kantor eingesetzt, der das Formlose oder Ungeformte der Wirklichkeit aufruft, welches sich in roher Materie, niedriger und erniedrigter Existenz, den weggeworfenen und zusammengesammelten Dingen manifestiert. Tuymans hat auch die Werke für die Ausstellung „Why?!“in der Galerie Czarnowska ausgesucht, seine eigenen ebenso wie die von Paul Thek, zurückgehend bis 1978 beim einen, bis 1958 beim anderen. Die meisten Arbeiten sind von öffentlichen und privaten Sammlungen ausgeliehen, zwei neue Bilder von Tuymans aber kommen direkt aus dem Atelier. Es war sein Wunsch, diese Ausstellung zu machen; er hat von einer messbaren Distanz zwischen seinen Sachen und denen von Paul Thek gesprochen.

Wenn der Körper ein Maßstab ist, bemisst sich die Distanz an seiner Zerstörung. Thek gräbt das Fleisch unter der Haut hervor und trägt Klumpen des blutigen, weichen und fremden Inneren nach außen. Es sind herausgelöste Teile, eher flüssig als fest, partikularer Ausdruck für viszerale Ungreifbarkeit. Die Hinwendung zur verlorenen, zeit- und identitätslosen Realität des Fleisches übersetzt das Begehren, außer sich zu sein, doch die Brocken müssen sich in Präsentationsapparate aus Plexiglas und Aluminium einfassen lassen, technologischen Ersatz für Oberfläche und Form, nummeriert mit der Jahreszahl der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Der blutige Fetzen ist eine Reliquie, in welcher das Heilige anwesend ist; die Verglasung aber nimmt das Versprechen des Fleisches zurück. Als Folge greifen Phantasmen des zerstückelten Körpers auf dessen Zerfall voraus; tragisch scheint es, als sei die Ekstase des Fleisches nur um den Preis des Todes zu gewinnen. Thek verkörpert dessen Gestalt in rosafarbenem Anzug, in der Ausstellung belegt durch das Pyramid Self-Portrait (1966-67).

Das geschichtliche Bewusstsein identifiziert die Agenten, welche die Zerstörung der Körper betreiben: Naziverbrecher, die experimentieren und vernichten; der „diagnostische Blick“, der die Symptome klassifiziert; der „schöne weiße Junge“, Erbe der belgischen Kolonialherrschaft und verantwortlich für die Folterung und Ermordung von Patrice Lumumba. Solches Wissen bestimmt die Körper, die Tuymans malt. Body ist eine Hülle mit Reißverschluss, „mit dem man sie öffnen kann, um sie auszustopfen und ihr Volumen, ihr eine Bedeutung zu geben, um sie lebendig oder lebendiger zu machen“. Für Tuymans ist die Reliquie mit einem Gefühl des Gedächtnisverlustes verbunden. Nicht die ahistorische Wirklichkeit des herausgerissenen Fleisches, sondern die zurückgebliebenen Spuren, Bilder und Dekors der Geschichte gehören für ihn zur Realität des niedrigsten Ranges. Das Fleisch aber, das dem Körper von Body fehlt, wird in und mit der Malerei selbst realisiert, der tastend und stockend vorangetriebenen Verteilung der wächsernen Farben.

Die Distanz ist messbar zwischen tödlicher Ekstase des Fleisches und der verzweifelten Bejahung körperlicher Zerstörung durch die Fleischlichkeit der Malerei.

Ulrich Loock

Öffnungszeiten: Di - Fr, 11.00 - 18.00 Uhr Sa 11.00 - 16.00 Uhr