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"Es gibt keine Geheimnisse mehr"

Mit diesem verheißungsvollen Versprechen setzt in einem Internetportal der Erfahrungsbericht eines Users an, der die Gebrauchsvorteile eines Kamerazubehörs beschreibt, das ihm schier „alle Wünsche erfüllt“. Die fachgemäß kombinierte Ausrüstung aus Weitwinkelobjektiv und Telekonverter verschafft uns heutzutage nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, die Objekte unserer Begierde aus extrem naher wie weiter Entfernung scharf und umfassend einzufangen. Durch das richtige Verhältnis zwischen Bildwinkel, Brennweite und Tiefenschärfe vermag die Technik mittlerweile mehr als die natürliche Leistung des menschlichen Auges. Über die rein praktische Fachterminologie hinaus (wide angle = Weitwinkel) spielt die Ausstellung Wide Angels auf die Sehnsüchte an, die bei der Ablichtung unseres Lebensraums über rational erfassbare Sphären hinausgehen. Seit Erfindung der Fotografie und dem Übergang in die Zeit, in der die Bilder laufen lernten, kreisen wir mit fortschreitender Perfektion um die Abbildung unserer Welt - immer von dem Bedürfnis begleitet, diese zu erfassen und zu tradieren. Dabei verführt nicht nur der Gedanke, mit scheinbar objektiven Mitteln wahrheitsgetreu zu dokumentieren (ein trügerisches Unterfangen, wie wir dank Susan Sontag wissen). Fotografen wie Filmemacher setzen darüber hinaus alles daran, gerade das sichtbar zu machen, dass dem menschlichen Auge verborgen bleibt. So gibt es nicht wenige, die neben der Seele der Porträtierten auch die Existenz von Engeln anhand ihrer Energieflüsse medial belegbar machen. Mit Wide Angels präsentiert Stedefreund drei Künstler, die sich mit unserer Wahrnehmung in Film, Fotografie und Installation auseinandersetzen und dabei einerseits Mechanismen offen legen wie andererseits bewusst auf Rätselhaftigkeit und Irritation setzen:

Aufgewirbelter Schnee, ein Lichtkegel im Nebel, schemenhafte Gestalten in der Dunkelheit. Astrid Buschs Fotografien lassen sich als wohl komponierte Standbilder einer filmi¬schen Inszenierung lesen, deren Plot uns vorenthalten bleibt. Eingefrorene Momente und angedeutete Szenen. Was ist passiert und was wird passieren? Wir sind Zeuge von Vorgängen, die wir nicht entschlüsseln können. Das Grauen beginnt bekanntermaßen da, wo das Vertraute rätselhaft scheint und wir mit unserer eigenen Projektion und Psyche allein gelassen werden. Mit Hilfe des vertrauten Filmrepertoires wirken Astrid Buschs Bilder wie unterbrochene Erzählungen aus Licht und Schatten, die stillgehalten auf gerade das verweisen, das nicht sichtbar ist und das wir erwarten oder vorherahnen. Eine Videoinstallation erweitert die geheimnisvolle Atmosphäre und das eigene Unwohlsein in den Raum. Die Bilder nehmen bewegte Gestalt an, ohne die Hoffnung auf kausale oder lineare Auflösung zu erfüllen. Wir geraten immer weiter in ein Netz kryptischer Andeutungen und fühlen uns wie Akteure in unserem eigenen Traum.

Sinta Werner geht es um Projektionen an der Schnittstelle zwischen Fotografie, Skulptur und Architektur. In der Arbeit Dissolve (= überblenden) reagiert sie mit sehr präzisen Einbauten auf den trapezförmigen Ausstellungsraum bei Stedefreund, indem sie dessen perspektivisch verzerrten Grundriss zum Gegenstand ihrer künstlerischen Auseinandersetzung macht. Mit Mitteln, die einer zentralperspektivischen Konstruktion entsprechen, sorgt sie baulich wie optisch für Verdoppelungen, Überlagerungen und Irritationen. Albertis Modell der Sehpyramide, Reflexionsbasis für jede Kunst- betrachtung bis heute, wird von Sinta Werner im dreidimensionalen Raum simuliert und rückt die Wahrnehmung des Betrachters wie den Ausstellungsraum selbst ins Zentrum der Analyse. In der Gemeinschaftsarbeit mit dem Bildhauer Markus Wüste verräumlicht Werner die Projektion auf eine alltägliche Situation im Außenraum. Ein entfernter Ort scheint wie im Science Fiction in den Ausstellungsraum teleportiert worden zu sein.

Carla Orthen M.A.

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WIDE ANGELS

Künstler: Astrid Busch, Sinta Werner, Gast: Markus Wüste