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Ausstellung: 17 October – 28 November, 2015 Wed – Fri 2 p.m. – 7 p.m. | Sat 11 a.m. – 7 p.m.

Opening Friday, 16 October, 7 pm
Opening speach by Maren Lübbke-Tidow

Artist talk mit Maren Lübbke-Tidow | Samastag, 28. November 2015, 11:00

cubus-m freut sich, mit Lost in space die erste gemeinsame Ausstellung von Wiebke Loeper und Susanne Lorenz zu präsentieren.
Mit unterschiedlichen Ausgangsfragen und medialen Ansätzen reisen die beiden Künstlerinnen durch Bildräume und Realräume. Sowohl in Loepers Fotografien wie in Lorenz’ Skulpturen geht es um das Herauslösen und Neuintegrieren in Räumlichkeiten. Geschichten werden mitgebracht oder überhaupt erst generiert. Bezüge werden aufgebaut, aufgegeben und neu geknüpft.

Die Arbeiten Bank, Turm und Vordach (aus der Serie Perspektivobjekte, seit 2013) von Susanne Lorenz sind schlichte Holzobjekte, deren Flächen eigenartig verzogene Perspektiven aufweisen. Ihren Ursprung haben die Skulpturen in gemalten Architektur- und Möbeldetails der Frührenaissance, z.B. in Gemälden Giottos und Duccios, aber auch in Bildwerken unbekannterer Maler. Die Werke aus dem 13.-15. Jahrhundert weisen noch keine einheitlich fluchtende, mathematisch konstruierte Perspektive auf sondern einen empfundenen, zum Teil auch bedeutungshierarchisierten, in mehrere Richtungen fluchtenden Bildraum. Susanne Lorenz entnimmt die gemalten Motive ihrem Bildraum mit den dazugehörigen heterogenen Perspektiven und realisiert sie als frei im Raum stehende Objekte bzw. Wandarbeiten. Während die perspektivischen Verzerrungen der Arbeiten noch auf den ursprünglich gemalten Bildraum verweisen, sind sie im neuen Umraum der Ausstellungssituation mit neuen Betrachterperspektiven konfrontiert. Die Größen sind so gewählt, dass die Perspektivobjekte weder abbildhaft noch funktional werden, sondern eigenständige Seltsamkeiten. In ihrer schlichten, rohen Erscheinung scheinen die Perspektivraumobjekte ihre malerische Herkunft zunächst zu verleugnen. Vielmehr aber erhält so die Form Aufmerksamkeit, deren eingeschriebene Bildperspektiven eine Ahnung von Geschichte geben. Auch Karneval, Kinderspiele und Triumph aus der Reihe nach Pieter (seit 2012) sind von Zeit und Geschichte „freigestellt“. Aus Bildräumen Pieter Bruegels d.Ä. hat Lorenz wiederum gemaltes Detail isoliert und in den Raum übersetzt, hier in farbige Kleinskulpturen aus Plastilin. Die Reihe Rahmungen (seit 2013) mit Atmen und In and Out zeigt an Stelle des Gerahmten Leerstellen. Die skulpturalen Rahmenformen selbst werden hier zu charaktervollen Protagonisten.

In den Fotoarbeiten von Wiebke Loeper geht es um andere Arten von Spuren einer – verlorenen oder nicht sichtbaren – Geschichte, von Fassungen und Leerstellen. Loeper thematisierte bereits in ihren fotografischen Serien Lad (1996/97) und Mitte, Berlin (2004/2005) die Transformation der deutschen Hauptstadt in historischen und biografischen Bezügen. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten aus der Serie zu eigen (seit 2014) portraitieren die Stadt aus einer Perspektive der Kennenden, die sich einem ehemals bekannten Umfeld aus der Distanz, erneut und tastend, nähert. Der Blick ist suchend, nach Geschichte fragend, nach Material und Haptik. Die architektonischen Motive scheinen ohne Verwurzelung. Auch sie haben keinen Bildraum, keine Verankerung, sondern wirken temporär und hilflos in Bezug auf Formsprache, Verarbeitung und Materialwahl. Fassadenflächen erinnern eher an lackierte Oberflächen von Autos oder ornamentierte Keramikware, als dass sie den Bezug zu einer kulturell gründenden Architektur aufnehmen. Stadt scheint aus einer großen inneren Leerstelle gestaltet – ihre Muster eher in Displays, Katalogen oder vermeintlich unverfänglichen historischen Vorbildern suchend.
Städtische Leerstellen werden besetzt durch „dekorierte Schuppen“[1].

Während die Arbeiten von Susanne Lorenz ihren vormaligen konkreten Bildraum im Gemälde zugunsten einer offenen Existenz im Realraum aufgegeben haben, rufen die Motive in Loepers Fotografien Geschichte im Sinne eines Raumkontextes nicht auf. Sie entwickeln ihre Wurzeln erst im fotografischen Bildraum. Das Foto wird zu einem Ort der Verankerung, welche die Stadt nicht leistet. Das Motiv hat sich von der Stadt als identitätsstiftendem Raum gelöst. Es ist auf der Suche nach Schönheit und Unabhängigkeit und zeugt doch von Versuchen Stadt zu installieren. Es ist wie ein Abbild unserer Vorstellung, die sich mit dem Vorhandenen nicht verbinden kann. Wie ein Organ, das nicht anwachsen will. Bilder, gemalte wie fotografische sind Ausschnitte eigener Zeitlichkeiten, zugleich hochgeschlossen und tief geknöpft. Angefüllt mit innerbildlichen Bezügen sind diese Bildräume beziehungsreich und durchlässig zum Umraum. Kein Rahmen kann das aufhalten.
Das „Bodenlose“ in den Arbeiten der beiden Künstlerinnen hat somit auch ein großes Potenzial: für offene Unstimmigkeiten, bewegliche Zusammentreffen und perspektivische Irritationen. Der Identitätsfächer zwischen temporärer Unabhängigkeit und neuer Wurzelbildung zeigt sich ambivalent.

Wiebke Loeper (*1972 in Ostberlin), studierte künstlerische Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Arno Fischer und Joachim Brohm und schloss mit dem Meisterschüler ab. Seit 1996 betreibt sie mit Freunden das Netzwerk lux fotografen. Loeper hat wichtige Förderungen und Preise erhalten, darunter das Villa-Aurora Stipendium in Los Angeles, das Arbeitsstipendium der Bundesstiftung für Kultur im Rahmen des Projektes „Schrumpfende Städte“ und den Aenne-Biermann-Preis. Bis 2008 wurde sie durch J.J. Heckenhauer vertreten, der ihre ersten zwei Bücher verlegte. Ihre Arbeiten wurden international gezeigt, u.a. in der Ausstellung darstellung/vorstellung. Fotografie aus Deutschland, Asterismo. Artistas radicados en Berlin, auf der 5th African Photography Encounters Bamako und 3rd Ars Baltica Triennial of Photographic Art. Loeper untersucht gesellschaftliche Transformationsprozesse in biografischen Bezügen. Seit 2008 ist sie Professorin für Fotografie an der Fachhochschule Potsdam. Seit 2013 wird sie durch cubus-m vertreten.

Susanne Lorenz (*1969 in Hannover), studierte Bildende Kunst sowie Kunst- und Architekturwissenschaft in Braunschweig und Berlin. Von 2006-2010 war sie Professorin an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und seit 2010 ist sie Professorin für Bildende Kunst an der Universität der Künste Berlin. Lorenz hat wichtige Förderungen und Preise erhalten, darunter das Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds, das Casa Baldi Stipendium und das DAAD Stipendium. Ihre Arbeiten sind zu sehen in öffentlichen und privaten Sammlungen, temporären Ausstellungen sowie als dauerhafte Installationen im öffentlichen und privaten Raum. Die Objekte und Installationen von Susanne Lorenz weisen Bezüge zu Architekturen, Landschaften sowie (kunst-)historischen Zusammenhängen auf. Ihre zum Teil großformatigen Arbeiten entwickelt Lorenz häufig für konkrete Orte. Internationale Bekanntheit erlangte das Badeschiff (2004 mit AMP Arquitectos und Gil Wilk), ein für die Ausstellung con_con umgebauter Lastkahn, der bis heute als schwimmendes Schwimmbad im Osthafen Berlins betrieben wird. Weitere Informationen: www.susanne-lorenz.de

[1] Im Sinne einer Kommerzarchitektur mit Zeichencharakter nach Venturi, Robert: Lernen von Las Vegas. Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt