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„Der Krausfakler hat die Fledermausabortfrau ins Bein gebissen weil sie keine Hoffmannsmusterkleider trägt.“ Oskar Kokoschka: Brief an Erwin Lang. In: Agathon-Almanach auf das Jahr 48 des 20. Jhs. Hrsg. v. Leopold Wolfgang Rochowanski, Wien 1947

Der Untertitel, ein für Nicht-Wiener rätselhaftes Zitat, fasst eine Zeit und eine besondere Stimmung in wohl gesetzte Worte: In einem Atemzug kommen Literatur, Architektur, Körper, Mode und Gewalt darin vor und verweisen auf historische Tendenzen im Wien der Wiener Werkstätte. Die um 1903 gegründete Institution steht für die Hinwendung der Angewandten Kunst zur Bildenden, Josef Hoffmann, Kolomann Moser und Adolf Loos waren die Begründer dieses Repräsentationsmodells, das bei allem vereinfachtem Dekor und Reformbekleidung nicht ohne Putti und Parfumkassetten zu Felde zog. (Robert Müller)

Nun ist die Einteilung in Angewandte und Bildende Kunst letztlich Definitionssache. In Abhängigkeit zum jeweiligen Kunstbegriff und dessen Grenzen und Kunstproduktion verlangt die Kunst aber grundsätzlich nach einer gewissen Form der Handwerklichkeit und Anwendung. Die Wiener Kuratorin

Barbara Rüdiger (*1983, Wien) hat für KIT 19 KünstlerInnen aus Wien und Düsseldorf eingeladen, die mit ihren Werken weniger die historische Grenzüberschreitung und das Verschleifen antiker Ressentiments in Produktionsmodellen darstellen und auch die gern herbei geredete ‚Interdisziplinarität’ vernachlässigen. Stattdessen zeigen die Positionen der Künstler die Selbstverständlichkeit, die sich ergibt, wenn verschiedene Assoziationsfelder innerhalb der jeweiligen künstlerischen Praxis souverän ausgelotet werden. Die Überschneidung verschiedener Modelle, als da wären: Mode und Kunst, Mode und Architektur, Kunst und Design sowie Kunst als Musikproduktion, werden zu einem sich lange fortsetzenden Kettenbrief, dessen Schwerpunkt in der Ausstellung Wiener Glut in der Kunstproduktion gesetzt wird. Im Video von Anna Barfuss, die sich von realisierten Wiener Stadtkonzepten von 1900 inspirieren ließ, flanieren Tiere, gekleidet in High Fashion von Modeikonen wie Hussein Chalayan, Rick Owens und Helmut Lang am Donaukanal entlang. Der Kanal, einst Hochwasser tragend, dann gezähmt von Otto Wagner, gab der Stadt Wien Struktur und einen Rhythmus, der das Leben in der modernen Großstadt beschleunigen sollte. Im Dunklen der Nacht lässt der Kanal das Vernünftige vergessen; der Film schafft einen imaginären Raum und verleiht dem Unbewussten Ausdruck.

Verena Denglers Werk ist ein humorvoll-ernster Blick auf den Menschen zwischen Lebensdekoration und Selbstdekoration, ein ironischer und wortwitziger Kommentar in Form einer Skulptur, für den die 1981 in Wien geborene Künstlerin zurückgreift auf die Textilienhandwerkskunst aus der Zeit von Bauhaus, Arts & Crafts und Wiener Werkstätte. Ihre Arbeiten sind gleichzeitig kritisch wie scheinbar wahllos, denn Verena Dengler bedient sich der Frauenkunst des frühen 20. Jahrhunderts, lässt sogenannte Fetischobjekte der Jugend- und Homosexuellenkultur in ihre Skulpturen einfließen und macht durch immer wiederkehrende Stuckelemente klar, dass sie mehrdeutig und ausschweifend denkt, schichtenübergreifend und demokratisch.

_fabrics interseason (Wally Salner 1971, Galtür, und Johannes Schweiger 1973, Schladming) aktivieren in ihrer Praxis sowohl den Sektor der Mode, als auch den der Bildenden Kunst, mitunter im Bezug auf Architektur, Design und (elektronische) Musik. Ihre Projekte, Kollektionen und ihre Präsentationen basieren auf Konzepten, denen eine intensive Recherche zu gesellschaftspolitischen Phänomenen und Diskursen vorausgeht. Die Schränke N°1 – N°7, die in Zusammenarbeit von fabrics interseason mit dem Architekten Robert Gassner entstanden sind, sind einerseits individuell gestaltet und platziert, andererseits in normierten RAL-Farben gestrichen oder lackiert und betonen so ihre Doppelfunktion hinsichtlich der Zwiespältigkeit der gegenwärtigen Gesellschaft im öffentlichen und privaten Leben. Die Dekonstruktion von Räumen bildet den Ausgangspunkt der Betrachtung für Julian Feritsch. Der 1980 in Heidelberg geborene Künstler befasst sich mit Transkriptionen und Reformulierungen alter Kataloge, Skulpturen und Fotografien; dabei geht Julian Feritsch immer weiter ins Detail und gewinnt seine Arrangements auch im Rückgriff auf das umgekehrte Verhältnis von Text und Objekt.

Julia Hohenwarter (*1980 Wien) beschäftigt sich mit Situationen der Repräsentation, Selbstdarstellung und Inszenierung aus unterschiedlichen Kontexten - etwa der Modeindustrie, Architektur und des Ausstellungsdisplays. Für das Video „The wall that wasn´t there“ stellt die Fotoshootingszene in Michelangelo Antonionis „Blow up“ (1966) eine Referenz dar. Die Installation besteht aus fünf Wandelementen deren Farben sich auf die Kleidung der Models im Sinne eines „objects trouvé“ beziehen. Anderseits finden sich Adolf Loos’ Mattlila und Le Corbusier’s Salubra, Coelinblau, Hellgrün und Elfenbeinschwarz in Farbskalen der Architekur der Moderne wieder.

Bei Luisa Kasalicky (*1974 Prag) sind es normierte Materialien aus dem Baumarkt – Dachpappe, Messingrohre, Regenrinnenschellen oder Fliesen – die in ihren Werken als Mix aus Objekten in den Raum greifen und sowohl Assoziationen an Alltägliches zulassen als auch an ihre funktionale Herkunft erinnern. Sie ergeben Erscheinungsformen, die eine doppeldeutiger Aussage transportieren und dadurch Teil von Kasalickys Repertoire der Erinnerungen werden.

Jakob Lena Knebl (*1970) setzt sich mit der von Ettore Sottsass 1981 als Gegenreaktion zum High Tech Design gegründeten Gruppe Memphis Design auseinander. Dem Konzept des Anti-Designs antwortet Knebl mit ihrem eigenen "Anti-Körper", der sämtliche Normen in Bezug auf Gender und gängige Schönheitsideale überschreitet. Sie setzt sich in eine dynamische Beziehung mit dem Radical Design des Memphis, indem sie mit ihren Formen, gefasst in farbige Flächen, eine ironische Spielerei von Subjekt und Objekt betreibt.

kozek hörlonski (Peter Kozek, Thomas Hörl), werfen einen Blick auf die folkloristischen Zeremonien und Rituale der Perchtenläufe samt dazugehöriger Mythologien. Der im Perchtenbrauchtum wichtige Ritus der Verbeugung ist zentraler Bestandteil der Performance des Duos, das mit seiner Interpretation einer Tafelpercht (als Glücksbringer bekannte Figur aus dem Salzburger Land) der Kunstinstitution KIT seine Reverenz erweist. kozek hörlonski übertragen mit ihren Aktionen historische oder traditionelle Analogien auf die Gegenwart, und bedienen sich dabei der Transformation und Verkleidung.

Auch bei Roberta Lima steht der eigene Körper im Mittelpunkt. Die 37-jährige Brasilianerin macht provokative Kunst mit ihrem eigenen Fleisch. So zeigt ihre Video-Projektion „Lights out!“ wie Injektionsnadeln durch Haut und Kleid dringen, wie durch Schnitte und Vernähungen die Bedingungen des Reformkleids, das in der Zeit der Korsette ja Freiheit für den weiblichen Körper bedeutete, ausgelöscht werden. Mit ihren Video-Performances will Roberta Lima den kritischen Dialog über den weiblichen Körper anregen und den oft lachend ertragenen eigenen Schmerz in das physische Unwohlsein des Betrachters umwandeln.

Christan Mayer (*1976 Sigmaringen) scheint ein gänzlich anderes Dekorativ zu vermitteln, die Tapete „Les Vues d’Amérique du Nord“ (Ansichten von Nordamerika), entworfen 1837 von Jean-Julien Déltil, produziert von Zuber & Cie, Rixheim, Frankreich. Déltil selbst hatte Nordamerika nie bereist und verlies sich auf Zeichnungen und Beschreibungen anderer aber auch auf seine eigene Fantasien, hatte den Biedermeierinterieurs einst das Flair der weiten Welt verliehen. Es bricht eine inszenatorische Künstlichkeit vehement und eindeutig hervor, die hier den Schritt zeigt zwischen Nachbildung, Anverwandlung und Repräsentation von Landschaft als Repräsentanten einer Herrschaft im Bild und des Bildes, einschließlich der darin mitrepräsentierten Flora, Fauna und Bewohner. Dass neben dem von Christian Mayer ersteigerten Exemplar dieser sehr seltenen Tapete ein weiteres im Weißen Haus in Washington hängt, und im Hintergrund Tausender Pressebilder Tag für Tag in die Welt projiziert wird, verleiht diesem historischen Objekt einen sehr gegenwärtigen politischen Kontext.

Gegenstände modulieren sich auf Bild- /Reliefräumen von Hans Scheirl (*1956 Salzburg). Die in den Raum erweiterten Malereien stellen Begehren, Ökonomie und Macht in ein dynamisches Verhältnis, in dem Identität zu einem äußerst prekären Begriff wird. Sie offerieren zudem mögliche, performative Anwendungen, geschnitten und geschlitzt moderieren sie zwischen dekorativem Wandschmuck und Identitätsverschiebungen der Architektur des Ausstellungsraumes und der Installation; der Installation und dem einzelnen Bild, zwischen Leinwandbild, Tisch und Architekturmodell, Malerei, Zeichnung und Schrift.

Bei Saskia Te Nicklin (1979 Kopenhagen) sind es Emotionen und Erinnerungen, Repräsentationen ihrer Selbst, die sie zu Objekten macht. Sie sind Verweise, Kommentar und Modell einer Selbstsicht durch das jeweilige Material hindurch. So finden sich performativ anmutende Objekte wie eine Limbostange, sich küssende Gipsplatten oder ein Tisch, dessen Masse an den eigenen Körper angelehnt sind, im Ausstellungsraum wieder. Nadim Vardag (1980 Regensburg) baut Wandmodule, die Skulptur, Installation, Display und Verweissystem zugleich sind. Strukturelle und modulare Adaptionen von Tischgestellen im Egon-Eiermann-Design zergliedern und brechen den Ausstellungsraum und schaffen eine neue Architektur.

Franz Zar (*1980 Wien) fügt in einer von Nadim Vardag speziell dafür entworfenen ‚Modell’- Situation eine ebenfalls in einzelne Segmente untergliederte Struktur ein, die nach der situativen Einbettung in den gegebenen Ausstellungszusammenhang fragt, und historische Bezüge aufwirft. Ein Index, konzipiert nach dem Katalog zur 1988 stattgefundenen Ausstellung „Ein anderes Klima“ Positionen aktueller Kunst aus Wien in der Kunsthalle Düsseldorf, stellt Fragen nach der Reproduktion und Abbildung ebenso konkret in den Raum, wie es das Moment geschichtlicher Repetition benennt, und ironisch eine Einschreibung in ein vages Versprechen zeitgeschichtlicher Relevanz einzufordern scheint. Denn nicht wenige der damals vertretenen KünstlerInnen prägen bis heute in stärkstem Maße die institutionelle und öffentliche Entwicklung zeitgenössischer Kunst in Österreich.

Astrid Wagner (*1982 Thüringen) erforscht die komplexen Zusammenhänge zwischen baulichen Formen, dem Einsatz bestimmter Materialien im Öffentlichen sowie den damit verknüpften sozialen und pädagogischen Programmatiken. Ihre bunt glasierten Keramik-Objekte spielen mit Bezügen zu Dekor und Kunsthandwerk, erinnern an funktionale Vasen oder Gefäße, um dann, museal aufgesockelt, als funktionslos und überhoÅNht zur Diskussion gestellt zu werden.

Alexander Wissels (*1983 Aschaffenburg) neu initiierter Single Club, der der Düsseldorfer Oktoberbar aus 2010 folgt, adaptiert historische Club- und Veranstaltungsräume wie unter anderem den Ratinger Hof oder das Cabaret Fledermaus (am 9. September 2011, ab 23 Uhr, Ackerstraße 5). In den Single- Club ist der Rückbezug auf historische Formate eingeschrieben, er beschwört das Erlebnis: 1 Tag im Monat je ein historischer Club mit Programm. 1907 eröffnete das Fledermaus in Wien und wurde zum kurzlebigen Showroom der Wiener Werkstätte; alles was zu gestalten war, fand Gestalt. Im Single-Club ist die ohnehin kurze Spanne auf ein Maximum verdichtet: Seife, Kloschüssel, Bierdeckel, kaum ein Aspekt bleibt ungestaltet, verrät im Detail eine konkrete Bezüglichkeit. Mit der Idee für den Single Club haben sich Bands aus dem Kunstkontext zusammengefunden, die jeden Monat ihre Auftritte mit den wechselnden Interieurs abstimmen und so dem 24-Stunden Programm eine akustische Form geben.

Teil davon ist Moritz Fiedler (*1982 Dresden) mit einem Techno-Operette-Projekt, das mit Hörspiel- Theatersequenzen aufgeführt wird. Im KIT zeigt Moritz Fiedler lackierte Sockel mit Furnier und Intarsien beklebt, vielleicht zum Anlehnen, eine Anrufung des Materials ohne und zugleich mit ergonomischem Effekt. Die verteilten Sockel im Raum stehen als komodifizierte Verweise einer Zweckmäßigkeit des Minimal und dessen latenter Idee des Mensch-Raumbezugs.

Anna Barfuss, Verena Dengler, ___fabrics interseason (Wally Salner, Johannes Schweiger) in Kooperation mit Robert Gassner, Julian Feritsch, Moritz Fiedler, Julia Hohenwarter, Luisa Kasalicky, Jakob Lena Knebl, kozek hörlonski (Peter Kozek, Thomas Hörl), Roberta Lima, Christian Mayer, Saskia Te Nicklin, Hans Scheirl, Nadim Vardag, Astrid Wagner, Alexander Wissel, Franz Zar

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Wiener Glut
Neue Kunst aus Wien und Düsseldorf
Kurator: Barbara Rüdiger, eingeladen von Gertrud Peters

Künstler: Anna Barfuss, Verena Dengler, Fabrics Interseason , Julian Feritsch, Julia Hohenwarter, Luisa Kasalicky, Jakob Lena Knebl, Kozek Hörlonski, Roberta Lima, Christian Mayer, Saskia Te Nicklin, Oktoberbar  (Alexander Wissel), Hans Scheirl, Nadim Vardag, Astrid Wagner, Franz Zar