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Ist der Mensch für die Gebrauchsgegenstände, die er erfindet, überhaupt geschaffen? Ist sein Haus, ist sein Büro, der rechte Aufenthaltsplatz? Und ist der Verwaltungsakt in einem Papierkrieg die angemessene Form der Auseinandersetzung?

In den Skulpturen und Videoinstallationen von Wolfgang Stehle geht es um die lebendige Wechselwirkung von Individuum und Ordnung. Neben und stellvertretend für die menschliche Natur tritt auch die äußere Natur in Auseinandersetzung mit dem Menschenwerk. Die sogenannte ‚Möblierung’ unserer außerstädtischen Kulturlandschaft rückt zunehmend ins Blickfeld des Künstlers: Autobahnbrücken, Hochspannungsmasten und die Trümmer ausgedienter und verworfener Architekturen in einer wieder wild gewordenen Landschaft. Auch formal zeigen die Arbeiten Transformationsprozesse. Erkennbare Funktionseinheiten verwandeln sich in autonome Formen und schließlich in neue, noch nicht erprobte Typen. An den Übergängen von Um- und Neuformungen gestaltet Stehle ornamental. Je nach Kontext steht das Ornament für die Autonomisierung oder die Funktionalisierung. Das Ornament aber erst bringt sie zur Anschauung.

Im Mittelpunkt der aktuellen Ausstellung steht die Arbeit „General Aviation“. Am Boden liegen die beiden Schwimmer eines Wasserflugzeugs. Der Flugkörper selbst ist nicht mehr zu sehen. Man kann ihn im Fluchtpunkt erahnen. Dort oben unter der Decke, wo sich die Verstrebungen in perspektivischer Verkürzung treffen. Man mag sich an dieser Stelle daran erinnern, daß vor vielen hundert Jahren die Eroberung und Vermessung der neuen Welt mit der Erfindung der Zentralperspektive und der Entdeckung des Bildraums zusammenfiel. Auch, dass der Fluchtpunkt im Bild einen festgelegten Standpunkt des Betrachters voraussetzte. Und man mag dann darüber sinieren, ob ein ausgewählter Standpunkt, der zugleich andere ausschließt, nicht auch eine Eingrenzung ist. Wie Klötze am Bein erscheinen dann die Schwimmkörper der „General Aviation“.

Spätestens in diese Zeit fällt auch die Entdeckung der Landschaft. Sobald wir den Lebenszusammenhang der Natur verlassen, einen Standpunkt außerhalb ihrer wählen und Natur betrachten, entdecken wir sie neu. Diese ‚ästhetische' Aneignung der Natur als ‚Landschaft’ ist unser Ersatz für eine als ‚ursprünglich’ gedachte Einheit. Im Schaufenster der Galerie steht eine Gartenhütte: ein schwarzer Bretterverschlag, auf dessen Boden ein Fernsehgerät lagert. In der Zeichentricksequenz der Arbeit „Leafless“ vollzieht ein junger Ahornbaum im Topf eine Art De- und Regeneration im Zeitraffer. Von einem knartzenden Geräusch begleitet verändern die Blätter ihre Farbe und ziehen sich zusammen. Es bleibt ein ornamental gestaltetes Blattgerüst. Nach einer kurzen Pause entfalten sich die Blätter erneut. In der Gartenkammer abgestellt, pulsiert das eingetopfte und emblematisch in den Bildausschnitt gezwängte Bäumchen merkwürdig animalisch, als würde Blut statt Wasser durch seine Kapillare fließen.

In Bodennähe, dem Blick ganz nah, hängt die Wandskulptur „Baumkrone“, in der Holzlatten spannungsvoll zu einer Baumstruktur zusammengefügt sind. Stamm und Äste durchbrechen ein über Kopf gehängtes Holzdach. Fast macht es den Eindruck, als habe sich der Ahornbaum über die Trümmer der Gartenhütte erhoben. Und doch, bleibt das Dach merkwürdig intakt. Behutsam legen sich Äste und Zweige um die Flächen. Tastend folgen die Latten den Konturen. Was gewaltsam oder katastrophisch war, hat sich im näheren Blickfeld beruhigt und in einer Art Baumhaus spielerische und abermals ornamentale Züge angenommen.

In der Zeichentricksequenz „Curse and Drive“ nähert sich aus der Ferne ein Pkw. Fahrzeug und Fahrer treten immer deutlicher in Erscheinung. Aus dem unscheinbaren Fleck wird ein raumgreifendes Vehikel, eine im stolpernden Rhythmus pulsierende Figur. Im Wandel, mal Mensch, mal Monstrum, gafft sie den Betrachter an, während das simulierte Motorengeräusch zu einem tierischen Brülllaut mutiert. Die Unerschrockenheit am Steuer, der Wahn der Unantastbarkeit gestaltet Stehle im Kontext dieser Ausstellung um in den Mythos einer Eroberungsfahrt. Eine moderne Landnahme, die in ihrer monströsen Überheblichkeit beschränkt bleibt durch den Blick hinter der Windschutzscheibe und den des Bildschirms.

Ebenfalls in Augenhöhe präsentiert sich die Serie von „Fenstern“: ein modernes Gitterfenster „Sherwood“, ein Oberlichtfenster „Taunus“, ein kupferfarbenes Spitzdach mit Fenster „Spessart“. An den Rückwänden innen sind Zeichnungen aufgetragen. Nicht die eines Interieurs oder einer Landschaft, sondern eben der Fensterarchitektur, durch die wir blicken; selbstreflexiv und als hätten wir uns keinen Schritt genähert. Oder doch? Denn die gezeichnete Architektur verschmilzt mit Versatzstücken der Landschaft. So als hätten die Scheiben wie Brennspiegel die Schatten des Fensters mit der Spiegelung der Landschaft auf der Rückwand eingebrannt.

Pressetext

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Wolfgang Stehle
The Wilderness Inside