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Die 3. Thematische Projektreihe „Work to do!“ setzt sich mit den Dynamiken, emanzipatorischen Momenten und Selbstermächtigungspotentialen sowie den Paradoxien und Problemen von Selbstorganisationskonzepten auseinander. Ausgangspunkt der Recherchen und Projekte sind einerseits die Beschäftigung mit dem Wandel der Arbeitsverhältnisse und ihren Organisationstrukturen sowie der Kontext Zürich selbst.

Die Debatten um gesellschaftliche Prozesse, die zur Zeit mit Schlagwörtern wie «Unterschicht», «Prekariat» und «Generation Praktium» verbunden sind, basieren auf einem rasanten Wandel von Arbeitsverhältnissen, der als Diskurs erst von einer breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wurde, als schlechte, bzw. sich verschlechterten Arbeitsbedingungen zunehmend auch die privilegierten, urbanen Mittelschichten betrafen. „Working poor“ finden sich nicht mehr ausschließlich an den «Rändern» der europäischen Gesellschaften und in Staaten des «globalen Südens», sondern durch Globalisierungsprozesse, veränderte Unternehmensstrategien und die Erosion des europäischen Modells des Sozialstaates auch verstärkt in Bereichen der post-fordistischen Wissens-, Dienstleistungs- und Kreativindustrien.

Während in diesen Bereichen in Abgrenzung zu fordistischen Arbeitsregimen Modelle von Flexibilität, Mobilität, Selbstständigkeit und der daraus häufig resultierenden Entgrenzung von Arbeit und Freizeit durchaus auch als Chance zur Selbstermächtigung begriffen wurden, verdeckt diese Sichtweise einerseits, dass die «neue Selbstständigkeit» in vielen Fällen nicht freiwillig gewählt ist, sondern versucht wird gesellschaftliche Risiken und die Verantwortung für deren Abfederung auf Einzelpersonen abzuwälzen und andererseits dass diese Wertung vom Standpunkt eines nach wie vor privilegierten Status aus erfolgt. Von prekären Lebensbedingungen sind in den «westlichen» Gesellschaften neben Menschen mit schlechter (Aus-)Bildung in besonderen Maße Frauen, Jugendliche und ältere Generationen, Migrantinnen und Sozialschwächere betroffen, da Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen an geschlechtliche und ethnische Rollenzuweisungen, bzw. Einschluss- und Ausschlussmechanismen gekoppelt sind, die teilweise massive Benachteiligungen nach sich ziehen.

Die Diskussionen um neue Arbeitsformen und soziale Absicherung stehen in einer engen Wechselbeziehung zu Konzepten der Selbstorganisation: Einerseits im Zusammenhang mit der von staatlicher Seite angestrebten Entlastung der sozialen Systeme, die durch «Fördern und Fordern» Anreize zur einer stärkeren Eigenverantwortung setzen möchten sowie als marktwirtschaftliches Prinzip der Gewinnmaximierung durch Einbindung der KonsumentInnen und andererseits als ein Mittel zum selbst bestimmten und teilweise auch «widerständigem» Handeln. Die Krux der Dynamik der „Selbstorganisation“ ist komplex, was von unternehmerischer Seite verfolgt wird, beansprucht der Staat auch für sich. Tendenziell wird die Verantwortung für Sozialleistungen an die BürgerInnen in diesem Prozess mehr übergeben. Die Zivilgesellschaft muss und musste immer wieder auf die „Outsourcingtendenzen“ von Sozialleistungen reagieren. Eine Möglichkeit ist es, als Antwort auf den verstärkten Druck mit selbstorganisierten Formen und Initiativen zu reagieren, die Demokratisierungsprozesse mitdenken und gestalten.

Verschiedene systemische Kontexte bringen unterschiedliche selbst organisierte und kollektive Arbeitsmotivationen hervor oder fordern diese ein. So ist der «kollektive Prozess» zum Beispiel ein Schlüsselwort für aktivistische politische Aktionen genauso wie für neoliberale Arbeitssituationen – zwei völlig unterschiedliche Kontexte, die aber gerade die Diskussion um die Arbeitsbedingungen und die Motivationen von Ansätzen zum Beispiel auch in der Kulturproduktion stark beeinflussen und geprägt haben. Der Argumentation politischer AktivistInnen folgend (z.B. in Tradition des gewerkschaftlichen ArbeiterInnenprotests), wird durchaus eine quantitative «Kollektivität» als «Tool» benötigt, um politischen Protest zu artikulieren und eine gesellschaftliche Aufmerksamkeit zu generieren. In neoliberalen Arbeitsverhältnissen wird der Begriff des «kollektiven Prozesses» häufig mit dem des Networkings oder des effizienten Arbeitens verstanden. Identitäten im Kultursystem reagieren auf beide Kontexte: Einerseits als Wunsch, sowie auch als Notwendigkeit auf Grund von prekären Arbeitsbedingungen, in flexiblen nomadischen Strukturen zu operieren, welche polyphone Aktivitäten und Sprachen erlauben, und andererseits die Dringlichkeit und das Bedürfnis einer öffentlicheren Sichtbarkeit, um kulturell und politisch Alternativen zum neoliberalen Arbeitsmarkt zu formulieren.

Die nicht starren Elemente eines selbst organisierten Handelns implizieren dabei, wie Chantal Mouffe in «On the Political» (2005) beschreibt, eine Dynamik demokratischer und kommunikativer Prozesse, die vielstimmige eigenverantwortliche Identitäten einfordern und somit eine Differenz (im Sinne Derridas) – im Gegensatz zum Kompromiss oder Konsens – favorisieren. Eine Gesellschaft benötigt, dieser Argumentation folgend, heterogene kollektive Identitäten, da plurale Identitäten eine Basis für antagonistische Entscheidungsprozesse garantieren und ein wesentliches Element politischer Konfrontationen und Entwicklungen darstellen und zivile Demokratisierungsprozesse motivieren. Das nicht zu übersehene Anliegen und eine Vielzahl von Identitätskonstruktionen, differenten selbst organisierten Kollektiven und kollaborativer Strukturen sprechen für ein Bedürfnis nach einer selbst organisierten inhaltlichen und perfomativen politischen Vielstimmigkeit und spiegeln die Bedingungen einer demokratischen Meinungsfindung und Politik wieder. Unabhängige, selbst organisierte Organisationsformen wie Initiativen, Vereine, Gewerkschaften, Verbände, NGOs, etc., die im Bereich der gesellschaftrelevanten Kulturproduktion häufig als «Netzwerk», «Kollektiv», «Kollaboration» bezeichnet werden, sind somit Grundvoraussetzung für partizipatorische Demokratisierungsprozesse.

Gerade im Bereich der kulturellen Arbeit finden sich viele Formen der Selbstorganisation. Jede/r freischaffende Künstler/in muss seine/ihre Arbeit selbst organisieren. In den Traditionen der Punkbewegung und Subkultur wurden Positionierungen formuliert, die sich als Gegenkultur von den kommerziellen Professionalisierungsstrategien und Verwertungsprozessen der «Kulturindustrie» absetzen möchten. So ermöglicht die «do-it yourself» Bewegung (DIY), eine Selbstermächtigung der/des «Amateurs/In» im Gegensatz zum professionellen Spezialistentum, eine Strategie der Performanz, die eigenen Produktionsbedingungen und Ausschlussmechansimen mit zu reflektieren und vorzuführen. Aber auch andere Beispiele wie Kooperativen, Vereine und autonome Zentren sowie mediale Formate von Freie Kanälen, Piratensendern, Fanzines über Open Source Projekte wie Linux oder Wipikedia bis hin zum «Heimwerkertum» lassen sich unter dem Fokus der Selbstorganisation auf ihre gesellschaftliche Relevanz hin befragen. Die weit gefächerten Formen der Selbstorganisation bleiben oft ambivalent und verorten sich zwischen den Extremen «(Selbst-)Ausbeutung» und «selbst bestimmtes Handeln».

Die Idee der Selbstorganisation, basiert auf dem systemtheoretischen Gedanken. Es erfolgt keine Trennung und Hierarchie zwischen organisierenden und gestaltenden oder lenkenden Teilen. Sämtliche Teile sind durch sich permanente ändernde Beziehungen miteinander vernetzt und eine Vorhersehbarkeit des Verhaltens wird erschwert. Selbstorganisation erfordern Handlungsspielräume der Beteiligten und werden gegen bestehende Formen der Fremdbestimmung erkämpft.

Die Thematische Projektreihe möchte den Modus der Selbstorganisation befragen inwiefern dieser in verschiedenen Kontexten und in einzelnen Fällen Modelle und reale Demokratisierungsprozesse mit beeinflusst und vorschlägt. Die Projekte werden sich also einerseits mit dem Wandel der Arbeitsverhältnisse beschäftigen und andererseits Möglichkeiten untersuchen, auf diesen Wandel durch Selbstorganisation zu antworten. Einbezogen werden sowohl kollektive Organisationsformen, die neben den «klassischen» Gewerkschaftsbewegungen eine zunehmend wichtigere Rolle spielen, wie auch individuelle Strategien. Da von prekären Arbeitsverhältnissen in besonderem Maß MigrantInnen und Frauen, Ältere und Sozialschwächere betroffen sind, ergibt sich sowohl die Möglichkeit, diese Thematische Reihe mit der vorangegangenen («Kolonialismus ohne Kolonien? Beziehungen zwischen Tourismus, Neokolonialismus und Migration») zu verknüpfen als auch die Notwendigkeit wieder verstärkt «feministische» Positionen einzubinden. Die Analyse als auch die Handlungsinitiativen soll verstärkt von den sozialen «Rändern» der Gesellschaft ausgehen.

Kuratorisch möchten wir – wie im letzten Jahr begonnen – weiterhin mit KünstlerInnen und KünstlerInnengruppen über den Zeitraum der gesamten thematischen Reihe dialogisch Arbeiten entwickeln und produzieren, die dann in verschiedenen Stationen zur Diskussion gestellt und gezeigt werden. Einerseits verfolgen wir damit weiterhin das Prinzip einer produktiven Langsamkeit («the mental komma instead of the full stop») andererseits ermöglicht es dieses Vorgehen den Entstehungsprozess von der Recherche bis zur Produktion auch den BesucherInnen gegenüber transparent zu machen. Dieses Prinzip von «Practice as Research» wenden wir dabei auch auf unsere eigene Praxis an. Anstelle der gewohnten wöchentlichen Führungen durch die Ausstellung organisieren wir öffentliche Besuche (Termine sowie Kurzbeschreibungen der Initiativen finden Sie im Anschluss an diesen Text sowie auf der Website) bei Gruppierungen, die sich Formen der Selbstorganisation bedienen, um sich in gesellschaftliche Felder einzuschreiben, Sichtbarkeiten herzustellen und im Sinne einer Selbstermächtigung Alternativen zu bestehenden Formationen aufzuzeigen.

Ein weiteres Anliegen, dass sich sowohl im kuratorischen Konzept als auch in den künstlerischen Arbeiten widerspiegelt, ist der Versuch einer verstärkten Verknüpfung von Ausstellung- und/oder Diskursorten mit anderen Initiativen und Gruppierungen sowie vor allen Dingen Öffentlichkeiten. Ausgehend von einem Verständnis öffentlicher Räume als per se von Interessen durchdrungene, die immer schon Ausschlussmechanismen generiert haben, stellt die Thematische Projektreihe auch Fragen nach Möglichkeiten der Aneignung von öffentlichen Räumen unter Bezugnahme auf Formen der Selbstorganisation. In diesen Zusammenhang lässt sich auch die Arbeit von Folke Köbberling und Martin Kaltwasser einordnen, welche die «Stadt als Ressource» nutzen, um aus gefundenen Materialien unter Bezugnahme auf Strategien des informellen, selbst ermächtigten Bauens neue Gebäude zu errichten und diese Nutzungszusammenhängen zu öffnen. Der Zwischenstand des Projektes ist in Form eines «Baustoffzentrums» in der Shedhalle zu sehen und bietet gleichzeitig ein raumgreifendes Display für eine Auswahl von Film- und Videoarbeiten, die sich ebenfalls auf das Thema der Selbstorganisation beziehen. Madeleine Bernstorff, welche das Programm zusammengestellt hat, wird in einem zweiten Schritt Personen aus selbst organisierten Zusammenhängen nach Filmen anfragen, die ihnen aus der Perspektive ihres jeweiligen Betätigungsfeldes relevant erscheinen, und diese im Rahmen des nächsten Projektabschnittes einbringen. Im Vorfeld eines Workshops werden die anderen an der Thematischen Projektreihe teilnehmenden KünstlerInnen (Kurzinformationen finden sich ebenfalls im Anschluss an diesen Text) ihre Arbeitspraxis vorstellen und mit der Recherche, bzw. Umsetzung ihre jeweiligen Projekte beginnen, die dann im Herbst diesen Jahres realisiert werden.

TREFFEN MIT INITIATIVEN Eine Reihe von Treffen mit selbstorganisierten Initiativen ist ein weiterer Bestandteil des 1. Projektabschnittes. Konzept und Text: Sønke Gau und Katharina Schlieben

Uns erscheint das „Hinausgehen“ aus der Institution wichtig, um die Orte und Menschen, die hinter diesen Initiativen stehen, kennen zu lernen und über ihre Motivationen, Aktivitäten und Arbeitsbedingungen von ihnen zu erfahren. Wir verstehen die Besuche als eine öffentliche Recherche, welche die üblichen Führungen Donnerstag abends für einen kurzen Zeitraum ersetzen. Die Gespräche mit den Initiativen werden dokumentiert und ebenfalls in die Ausstellung integriert.

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Work to do! Selbstorganisation in prekären Arbeitsbedingungen, Teil 1

Künstler: bankleer  Saskia Holmkvist, Andrea Knobloch, Folke Köbberling / Martin Kaltwasser, Andreja Kuluncic, RELAX , Mirjam Wirz