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Katharina Fritsch ist eine der bedeutendsten Künstlerinnen Deutschlands und eine erfahrene Akademieprofessorin. In den Jahren 2000 bis 2002 kuratierte sie zudem ambitionierte Ausstellungen mit Düsseldorfer und internationalen Künstlern im Düsseldorfer MALKASTEN. Für die Ausstellung „Wrong“ wählte sie gemeinsam mit Gertrud Peters Künstlerinnen und Künstler aus, die ihr Werk erfolgreich neben dem Trend erschaffen; scheinbar zur falschen Zeit und am falschen Ort. „Wrong”, also „falsch” – der Titel entstammt dem Song von Depeche Mode – sind Künstler, die frei von kunsthistorischen Wertvorstellungen und vom Zwang eine beeindruckende Vita vorweisen zu müssen, produktive „Fehler” machen, die sich als Befreiungsschläge und neue Formfindungen erweisen. Die ausgewählten Künstler lassen sich nicht auf fertige Systeme ein und verzichten auf die Kompromisse, die große Künstlerkarrieren zuweilen erfordern.

In der Ausstellung im KIT treffen junge Künstlerinnen und Künstler auf die Werke erfahrener Künstlerinnen und Künstler. Diese sind nicht zwingend als Verweise von Vorbildern auf Studenten zu sehen; sämtliche Werke zeigen die Zeitbeständigkeit eigenwilliger Kunst.

Denn „jeder Künstler ist verrückt dem gewöhnlichen Leben gegenüber“, sagte Elsa von Freytag-Lohringhoven (1874-1927), deren Readymades „Earring-Object“, „Cathedral“ und „Enduring Ornament“ zwischen 1917 und 1920 entstanden und glücklicherweise vom Nachlassverwalter der „Dada-Baroness“ aus New York ausgeliehen werden konnten. Elsa von Freytag-Loringhoven malte und dichtete in ihrer kurzen Schaffensperiode von 1913 bis 1927 Tag und Nacht. Das Chaos war ihr Zuhause und auf ihrer Jagd nach Liebe und Schönheit machte sie vor nichts halt (sie nennt Marcel Duchamp M’ars (mein Arsch) und ihre Skulptur „god“ war das erste Readymade überhaupt).

Für die Ausstellung ausgewählt hat Katharina Fritsch auch die Arbeit „Mein Gehirn”, 1984, von Isa Genzken (geb. 1948). Sie erinnert sich, dass sie Genzken in der Gipswerkstatt der Kunstakademie Düsseldorf traf, als diese an dieser Werkserie arbeitete. Katharina Fritsch: „Isas Werke aus dieser Zeit sind ein großartiges Beispiel dafür, dass ein in meinen Augen produktiver Irrweg nachher zu einem bewundernswerten Werk führt. Es handelte sich keineswegs um einen Formverlust sondern um einen Prozess der Formfindung.” „Mein Gehirn“, ein experimentelles Selbstporträt, steht für einen ersten Bruch mit der Strenge im Schaffen von Isa Genzken. Hier arbeitete sie unabhängig von fremder Hilfe, zeigt in der scheinbar hastig geformten Struktur ein großes Bewusstsein für formale Stimmigkeit, für emotionale und ästhetische Ausarbeitung.

Die im KIT präsentierten Zeichnungen von Dieter Krieg (1937-2005) entstanden im Todesjahr seiner Frau Irene 2004. Es handelt sich dabei um seine letzten Arbeiten. Gezeichnet von Kummer und schwerer Krankheit hörte er kurz vor seinem Tod zu malen auf. Seine Schriftbilder sprechen von Skepsis und Selbstzweifel, vom „abmalen – abschreiben“ (Krieg), von Monumentalität und Flüchtigkeit. Dieter Krieg, der 25 Jahre an der Kunstakademie Düsseldorf lehrte, nahm in ihnen seine Monumentalmaße auf bescheidene Formate zurück, zeichnete erst mit Kohle auf Papier und pappte die Papiere, teils übereinander, dann mit Acryl scheinbar achtlos auf die Leinwände. Die Worte und skizzenhaften Figuren nehmen die unbelasteten, einfachen Dinge auf und weiten sie zu Lebensgleichnissen aus.

Auch Wols (eigentlich Alfred Otto Wolfgang Schulze, 1913-1951) nutzte die Stärke piktoraler Zeichen. Seine in den 1930er Jahren entstanden absurd-realen Fotografien geben offenbar nicht die Realität wieder, die sie zeigen – die Bilder teilen eher mit, wie der Erschaffer des Bildes die dargestellte Welt sieht. Einem um 1938 angefertigten titellosen Foto von Wols gelingt das auf besondere Weise: Zu sehen sind die Nieren eines Tieres, die auf einer Decke mit Paisley-Musterung liegen. Die Kombination von Objekt und Untergrund lässt den Betrachter seinen Ekel vor den rohen Innereien vergessen. Die Barbarei wird durch die Formähnlichkeit zu den Blättern des Musters zur Kultur erhoben und lässt das Fleisch eingehen in die geistige Welt.

Seit seiner Gründung im November 2006 forscht der Congress (vertreten durch Magdalena Kita, geb. 1983, und Giulietta Ockenfuß, geb. 1986) in Verhältnissen jenseits der Darstellung nach Epiphänomenen, Randerscheinungen, dem Überschuss, dem nicht zu vereinnehmenden Rest. „Mitglied des Congress zu sein bedeutet das Streben nach klaren Gesetzmäßigkeiten, nach einleuchtenden Regeln für Architektur, Skulptur, Malerei und Musik, die sich an den Gesetzten der Natur orientieren, der Mensch als Maß. Für WRONG jagen die türkise und die rosane Dame (Ockenfuß und Kita) die letzten Indianer um mit ihnen eine Vortragsreihe zu organisieren. Geschlechtsforscherinnen, Josefologen, Informatiker, Politikerinnen, Mykologen und Pataphysiker werden sich als Einheiten einer Partitur in Düsseldorf im KIT am 22. April versammeln, um den Sound der ‚Zeitgenössischen Moralvorstellung in Europa’ erklingen zu lassen.“ (Congress)

Ausgehend von der Form und die Aggregatzustände des Materials austestend hat Matthias Lahme (geb.1974), „Auf Wiedersehen“ geschaffen, die kleinste Skulptur der Welt. Lahme hat sie zunächst als Plastik modelliert, dann wurde sie in einem Institut für Nanotechnologie 3D-gescannt und als dreidimensionale Nanostruktur in Fotolack gelasert und gehärtet. Nicht größer als ein Staubkorn ist das Nano-Modell in einer kleinen Vitrine mit dem Auge kaum zu erspähen. Auch die großformatigen Cut-outs vermitteln über das Sehen eine andere Art des Fühlens: aus abstrakten Farbverläufen bilden sich durch Ausschnitte festere Konturen, die – hat sich der Blick erst einmal darauf konzentriert – grinsende Gesichter erscheinen lassen: Hämisch, bedrohlich oder aufmunternd treten dem Betrachter diese „ungestalten“ Wesen entgegen. Bei Lahmes Keramikketten sind Tonkugeln so angeordnet, dass der Eindruck einer grinsenden Fratze entsteht.

Michael van Ofen (geb. 1958), als Maler Gratwanderer zwischen abstrakt und gegenständlich, erschafft mit malerischen Mitteln und unter Verwendung vorhandener Icons seine eigene Bildsprache, die persönliche wie allgemeingültige Erinnerungen und Verweise zulässt. Seine Malereien mögen entrückt erscheinen und zeugen umso mehr fern jeder Nostalgie von großer Nachhaltigkeit. Er wirkte wie ein Provokateur auf Widerruf, dem Enten, Hirsche, Soldaten und Kriegsschiffe auf hoher See wieder malbar erschienen und sich dabei, ohne sich vordergründig zu verhalten, mit Marcel Broodthaers auseinandersetzte. Der Kitschverdacht, vorschnell erhoben, verdeutlichte in den 1980er Jahren das Ausmaß seines Rebellentums.

Angela Fette (geb. 1970) sieht den Post-Minimalismus als folgerichtige Fortführung der Pittura Metafisica: „Kunst, in ihren klassischen Äußerungen als die Zeichnung, das Gemälde, das Wandgemälde oder die Skulptur wird angesehen als Träger für die Unbegreiflichkeit der zersplitterten Welt und Kunstmachen als Versuch das klassische Ganze zusammenzuflicken. Der Künstler ist ein Dr. Frankenstein, der nicht ‚vor den Trümmern der antiken Monumente verzweifelt’(Füssli), sondern sie einem postmodernen Energiefeld aussetzt und wieder zusammenfügt. Es soll nicht vor der romantisierenden Tendenz kapituliert werden.“ Solche Zusammenfügungen zeigt Angela Fette im KIT mit „albertderspeer“, „kabine“, „amarilla killa“ und einem Wandgemälde.

Mercedes Neuss (geb. 1987) ist die jüngste Künstlerin in der Ausstellung. Sie studiert bei Katharina Fritsch. Ihre „Schuhe“ formte sie nach einem Traum, in dem eine Frau ihre Schuhe wiederfindet und sie trotz einiger Widrigkeiten – die Schuhe sind ineinander gesteckt, der eine grasgrün, der andere feuerrot – anziehen kann. 
Alle Werke von Mercedes Neuss basieren auf Träumen, die sie als Skulpturen, Bilder oder Radierungen rekonstruiert. So schafft sie rätselhafte Szenarien von eigenständiger Qualität, die über eine Illustration des Erlebten weit hinausgehen. Vor allem hat es den Anschein, dass Mercedes Neuss – so wie alle Künstlerinnen und Künstler dieser Ausstellung – keine andere Möglichkeit sieht, als die Existenz einer Künstlerin zu führen. Kunst ist für sie keine Dienstleistung, sondern absolut notwendig.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Texten von Robert Fleck, Vanessa Joan Müller, Noemi Smolik, Gertrud Peters und weiteren Autoren. Ca. 70 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen.

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Eine Ausstellung im KIT kuratiert von Katharina Fritsch und Gertrud Peters

Congress , Angela Fette, Elsa von Freytag-Loringhoven, Isa Genzken, Dieter Krieg, Matthias Lahme, Mercedes Neuss, Michael van Ofen, Wols