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Die XXII. ROHKUNSTBAU schließt an ein Statement von Kofi Annan, dem früheren UN-Generalsekretär, an. Dieser sagte: „Nichts ist heiliger als der Schatz, den die Welt mit Kindern besitzt. Nichts ist wichtiger als sicherzustellen, dass die Rechte von Kindern respektiert werden, dass ihr Wohlergehen garantiert ist, dass sie frei von Angst und Entbehrung leben und in Frieden aufwachsen können.“ Die Themenausstellung im Kulturschloss Roskow fragt nach Kindheit als besonderen Bewusstseinszustand, als fragile und gefährdete Daseinsform und zugleich als individuelles politisches Recht, wie es die UN-Kinderechtskonvention seit 1989 festschreibt.

Der Titel „Zwischen den Welten – Between the Worlds“ lässt sich zum einen metaphorisch auf die zeitliche Übergangsphase von der Kindheit und Jugend zum Erwachsenenalter beziehen, eine Inkubationszeit, die sich heutzutage immer mehr auszuweiten scheint, Stichwort: „Infantilisierung der Gesellschaft“. Zum anderen lässt der Titel auch an die konkret „zwischen den Welten“ irrenden Flüchtlingstrecks denken, zu denen viele Kinder und Jugendliche gehören. Für sie bedeutet der Aufbruch ins Ungewisse oft einen jähen Abbruch der Kindheit oder sogar des Lebens.

Elf Künstler und Künstlerinnen aus unterschiedlichen Nationen und Kontinenten, Europa, Afrika, Asien und Amerika, umkreisen auf Schloss Roskow, das nach dem Zweiten Weltkrieg eine Weile Flüchtlingsunterkunft war, Lebens- und Gefühlswelten der Kinder des 21. Jahrhunderts. Malereien, Zeichnungen, Skulpturen, Videos und Multimediaarbeiten drehen sich um Phantasiereisen und Traumwelten, um heitere Spiele und „Serious Games“, um Wandel, Abschiede und rites de passage. Dabei knüpfen die Künstler an eigene Kindheitserinnerungen an.

Neben Neuentdeckungen begegnen bekannte Namen wie die spanische Bildhauerin und Objektkünstlerin Angela de la Cruz, die 2010 für den Turner Preis nominiert war, oder der syrische Comiczeichner Hamid Sulaiman, der als Chronist des Arabischen Frühlings Popularität erlangte. Die chinesische Konzeptkünstlerin und Kalligraphin Jia konfrontiert in ihrem Beitrag „Mini-Shop“ bei „ROHKUNSTBAU“ in berührender Weise mit dem Schicksal „zurückgelassener Kinder“.

Schätzungsweise 60 Millionen chinesische Kinder von Wanderarbeitern wachsen fernab ihrer Eltern auf, weil das seit den 1950er-Jahren bestehende „Hukou System“ sie an ihre Heimatprovinzen bindet. Nur dort können sie die Schule besuchen. Auch Jia wuchs bei den Großeltern auf. Als wundersamen Ort „zwischen den Welten“ der Schule und des Zuhause empfand sie Mini-Shops, in denen Kinder für kleines Geld Süßigkeiten bekommen und das Gefühl des „Zurückgelassenseins“ für kostbare Momente weggewischt erscheint. In Schloss Roskow eröffnet die mittlerweile in Berlin beheimatete Chinesin einen dieser magischen Mikroshops.

Für die Kinder in Ammar al Beiks Video „La dolce Siria“ schieben sich Kinder- und Erwachsenenwelt bedrückend ineinander: Während die Kinder in einem Vorgarten mit einer alten Kamera hantieren, hört man im Hintergrund dumpfe Bombenexplosionen. Für die alten jüdischen Damen, die Clemens Krauss für seine Videoarbeit „Berliner Runde“ interviewte, ragen indes kleine Freuden hervor, wenn sie an ihre Kindertage zurückdenken, die Schatten scheinen in tiefere Seelenschichten verkramt.

Der kubanisch-amerikanische Fotograf, Videokünstler und Zeichner Anthony Goicolea spielt in narzisstischen Selbstporträts Szenen aus Kindheit und Adoleszenz in einer Mischung aus Humor und Horror durch, während die farbenfrohen Malereien von Ryan Mosley, Peter Stauss und Edouard Baribeaud von ambivalenten Figuren bevölkert sind und die Phantasiewesen der nigerianischen Bildhauerin Sokari Douglas Camp zwischen schamanistischen Transformationsriten und der populären Film- und Spielewelt angesiedelt erscheinen. Nur noch eine flüchtige Erinnerung sind die Badeurlaube mit der Familie an der Ostsee, die die Eltern mit Super-8-Kamera festhielten. Der Potsdamer Künstler Arne Schreiber verwischt die verblassten Bilder seiner DDR-Kindheit mit flirrenden Linien noch weiter, bis sie sich in optisches Rauschen auflösen und sich Assoziationen von Ertrinken, aber auch von Schwerelosigkeit einstellen.

Der Kurator Mark Gisbourne sagt zum Ausstellungskonzept: „Reiseabenteuer, neue Welten, Phantasiewelten, Unterwelten, Zwischenwelten gehören in das Repertoire der Kinderbücher und der Kinderliteratur. Die Kindheit in Gesellschaften, die von Armut und Krieg geprägt sind, sieht jedoch ganz anders aus als die in liberalen westlichen Gesellschaften. Kinder und Jugendliche, die in Armut leben, Hunger, Kinderarbeit oder Krieg erleiden, erfahren eine gehemmte und oft ungesunde Entwicklung, und die bereichernden Erlebnisse der Kindheit werden nicht Teil ihres alltäglichen Lebens.“

Inka Thunecke, Geschäftsführerin der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg, die ROHKUNSTBAU veranstaltet, sagt: „Die Künstler und Künstlerinnen des XXII. ROHKUNSTBAU setzen sich mit der Welt der Kinder zu Beginn des 21. Jahrhunderts auseinander. Obwohl die Kinderrechtskonvention der UN die Kinder schützen soll, ihnen Gehör verschaffen soll, ihre Beteiligung sichern soll, ist die Situation schlimmer denn je: Kindersoldaten, minderjährige Selbstmordattentäter und flüchtende Kinder, im Krieg lebende Kinder, hungernde und bedrohte Kinder, Kinder ohne Kindheit und Jugend.“  

Beteiligte KünstlerInnen: Edouard Baribeaud (F), Ammar al-Beik (SYR), Sokari Douglas Camp (NG/GB), Angela de la Cruz (E), Anthony Goicolea (CUB/US), Jia (CHN), Clemens Krauss (AT), Ryan Mosley (GB), Arne Schreiber (D), Peter Stauss (D), Hamid Sulaiman (SYR) Kuratiert von Mark Gisbourne