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23.04.2021 - 15.08.2021

Yayoi Kusama
Eine Retrospektive

Yayoi Kusama zählt zu den bedeutendsten japanischen Künstler*innen der Gegenwart. Vom 19. März bis 1. August 2021 widmet der Gropius Bau Kusama erstmals in Deutschland eine umfassende Retrospektive, die zentrale Schaffensperioden aus über 70 Jahren nachzeichnet und die Bedeutung ihres künstlerischen Werks in Europa und insbesondere Deutschland hervorhebt. Die Werkschau präsentiert auf einer Fläche von rund 3000 m² neben originalgetreuen Rekonstruktionen zentraler Ausstellungen einen neuen Infinity Mirror Room, aktuelle Gemälde sowie eine eigens für die Ausstellung geschaffene Installation, die im Lichthof des Gropius Bau gezeigt wird. Ein wesentliches Anliegen ist es, den künstlerischen Kosmos Kusamas und die Entwicklung ihres Schaffens von frühen Gemälden und akkumulativen Skulpturen hin zu immersiven Erlebnisräumen erfahrbar zu machen. Die Ausstellung entsteht in enger Zusammenarbeit mit der Künstlerin und ihrem Studio und stellt auch ihre bislang wenig beachtete künstlerische Aktivität in Deutschland und Europa in den Fokus.

Den Schwerpunkt der Retrospektive im Gropius Bau bilden Rekonstruktionen von acht Ausstellungen aus den Jahren 1952 bis 1983, durch die sich die Entwicklung ihres genreübergreifenden Schaffens nachvollziehen lässt. Yayoi Kusama hatte sich seit Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn stets intensiv mit kuratorischer Inszenierung auseinandergesetzt und wegweisende Präsentationsformen entwickelt, die im Rahmen der chronologisch angelegten Ausstellung zugänglich gemacht werden. In den ersten Räumen werden ihre Ausstellungen Yayoi Kusama Solo Exhibition und Yayoi Kusama Recent Works (1952) in ihrer Heimatstadt Matsumoto gezeigt, in denen sich bereits Anfänge der Gestaltung von immersiven Raumsituationen wiederfanden. Darauf folgt mit Aggregation: One Thousand Boats Show das erste Environment, das Kusama 1963 in New York präsentierte und das ihre bis heute anhaltende Auseinandersetzung mit (Selbst-)Auflösung und Unendlichkeit vorwegnahm. Zentrales Element dieser Ausstellung war ein mit weißen Stoffphalli übersätes Ruderboot, das auch in der mehrteiligen Driving Image Show (1964) zu sehen war – dort allerdings mit weiteren akkumulativen Skulpturen (Accumulations) gruppiert, die jeden Winkel der Galerie zu überwuchern schienen und den Raum vollständig einnahmen. In der 1965 in New York gezeigten Floor Show – Phalli’s Field werden rot-weiß gepunktete Stoffphalli mit weiteren Accumulations in einem etwa 25 m² großen, vollständig verspiegelten Raum arrangiert – Kusamas erstem Infinity Mirror Room, in dem sie in einem roten Ganzkörperanzug posierte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird ihre künstlerische Persona und Präsenz zu einem integralen Bestandteil jeder Ausstellung und Performance; darüber hinaus enthält die in New York erstmals präsentierte Arbeit sämtliche Schlüsselelemente ihres Œuvres: Stoffphalli, Punkte und Spiegel, die einen immersiven Erfahrungsraum bilden.

Im zweiten Teil der Driving Image Show, die 1966 in Essen gezeigt wurde, waren neben den bereits bekannten weißen Accumulations vergoldete Objekte zu sehen. Die Künstlerin hatte längere Zeit auf diese Ausstellung hingearbeitet und damit ihre künstlerische Präsenz in Europa begründet. Im selben Jahr setzte sie auch ihre Ausstellungstätigkeit in New York fort und präsentierte mit Kusama’s Peep Show or Endless Love Show ihren zweiten Infinity Mirror Room. Der hexagonale Raum, den die Betrachter*innen lediglich durch zwei Gucklöcher betrachten konnten, kam ohne Objekte aus und evozierte nur durch in variierenden Konstellationen blinkende Lichter Kusamas Prinzip der obsessiven Unendlichkeit. Die letzte Rekonstruktion im Gropius Bau bietet darüber hinaus Einblicke in Kusamas spätere Ausstellung Encounter of Souls, die 1983 in einem alternativen Veranstaltungsraum in Tokyo zu sehen war und bereits zu diesem frühen Zeitpunkt zentrale Werkgruppen und Schaffensperioden zusammenbrachte.

Die Ausstellungsrekonstruktionen werden im Gropius Bau durch eine Zeitleiste erweitert, an der sich auch Yayoi Kusamas bisher kaum beachtete Orientierung in Richtung Deutschland und Europa ablesen lässt. So wurden ihre Arbeiten bereits 1960 neben Künstlern wie Lucio Fontana, Otto Piene und Yves Klein in der bedeutenden Gruppenausstellung Monochrome Malerei in Leverkusen gezeigt, wofür sie sich selbst im Vorfeld aktiv eingesetzt hatte. Dies legte den Grundstein für ihre zunehmende Rezeption in Europa, wo sie ihre Werke in den Folgejahren unter anderem in Amsterdam, Bern, Den Haag, Essen, Mailand, Rotterdam, Stockholm, Turin und Venedig präsentierte. Mittels intensiver Recherche eröffnet die Retrospektive im Gropius Bau so eine neue Perspektive auf die Ausstellungsgeschichte der Künstlerin und für die deutsche Kunstgeschichtsschreibung.

Ergänzt wird diese Chronologie durch dokumentarisches Foto- und Filmmaterial, das die performative Dimension von Yayoi Kusamas Arbeiten aufzeigt und eine umfassende Kontextualisierung ihres Schaffens ermöglicht. Dabei wird auch der revolutionäre Charakter von Kusamas Fusion aus Mode, Kunst sowie Performance und Happening deutlich, dessen künstlerische Ausdrucksmittel in den sozialpolitischen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre verwurzelt sind. Eine besondere Rolle kommt der kontinuierlichen Selbstinszenierung Yayoi Kusamas in ihren Arbeiten zu, durch die sie die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt, Innen und Außen, Körper und Umgebung verwischte – und so auch eine Zeit reflektierte, in der Leben und Kunst zu verschwimmen begannen. Ihren eigenen Körper setzte die Künstlerin in ihrem Werk als einen Platzhalter ein, der für die Körper der Betrachtenden stand und sich als Antizipation der Selfiekultur – des Strebens danach, selbst im Bild zu sein – lesen lässt. Kusamas Wunsch nach Verschmelzung mit ihren Arbeiten fiel dabei immer auch mit der Auflösung des Selbst, dem Aufgehen in der Unendlichkeit zusammen, die bis heute ihr Schaffen prägen.

„Punkte sind ein Weg in die Unendlichkeit. Wenn wir die Natur und unsere Körper durch Punkte auslöschen, werden wir Teil der Einheit unserer Umwelt. Ich werde Teil des Ewigen, und wir löschen uns selbst in Liebe aus.“ — Yayoi Kusama, 1968

„Wir freuen uns, mit Yayoi Kusamas Retrospektive das Schaffen einer visionären und radikalen Künstlerin präsentieren zu können. In den 1960er Jahren nahm Kusama durch ihre genreübergreifende Praxis nicht nur eine singuläre Stellung im damaligen Kunstbetrieb ein, sondern trug mit ihren politischen Statements auch zum feministischen Diskurs ihrer Zeit bei. In ihren Werken lassen sich schon früh Themen identifizieren, die bis heute relevant sind – von weiblicher Ermächtigung bis hin zu bewusster Selbstinszenierung. Wie präsent Kusama in Deutschland war und wie ihre künstlerische Entwicklung seit den 1950er Jahren verlief, wird anhand von Rekonstruktionen wegweisender Ausstellungen nachvollziehbar, die Kusama damals bis ins Detail selbst gestaltete. Ein Anliegen der Retrospektive im Gropius Bau ist es, ihre künstlerische Persona in den Blick zu nehmen und herauszuarbeiten, welch bedeutende Rolle sie innerhalb eines internationalen Netzwerks aus Künstlerinnen, Kunstkritikerinnen, Kuratorinnen und Galeristinnen einnahm.“ — Stephanie Rosenthal, Direktorin des Gropius Bau

Yayoi Kusamas Werk war Gegenstand zahlreicher internationaler Ausstellungen, ihre Arbeiten wurden u. a. im Boston Institute of Contemporary Art (2020); Matsumoto City Museum, Nagano (2019); Fosun Foundation, Shanghai (2019); MUSEUM MACAN, Jakarta (2018), Queensland Art Gallery | Gallery of Modern Art, Brisbane (2017–2018); National Gallery Singapore (2017) Museum and Sculpture Garden, Washington D.C. (2017); Louisiana Museum of Modern Art, Humlebaek (2015); Fundacion Malba, Buenos Aires (2013); Whitney Museum of American Art, New York (2011–2012) und im Tate Modern, London (2011) gezeigt. 2017 wurde das Yayoi Kusama Museum in Tokio eröffnet. Die Retrospektive des Gropius Bau wird anschließend im Tel Aviv Museum of Art (Israel) zu sehen sein.

Die Ausstellung Yayoi Kusama: Eine Retrospektive wird kuratiert von Stephanie Rosenthal und organisiert vom Gropius Bau in Zusammenarbeit mit dem Tel Aviv Museum of Art.