Fragen von kunstaspekte zur Retrospektive von Franz West: Wo ist mein Achter? im mumok, Stiftung Ludwig Wien an die Kuratorin der Ausstellung Eva Badura-Triska

Beim Rundgang über die drei Etagen der Ausstellung fällt schnell der großzügige Freiraum zwischen den Arbeiten auf. Er verstärkt das Gefühl einer spielerischen Beiläufigkeit der Präsentation, die gewichtige Dominanz, beindruckende Größe und Bedeutungsschwere zu vermeiden sucht. Viele der installativen Arrangements und Kombiwerke von West, die er immer wieder aus Einzelstücken neu zusammengesetzt hat, führen ein quasi insulares Dasein in den offenen Räumen, oft in der Anmutung einer knapp umrissenen "verdrehten Wohnlichkeit": behausbar und benutzbar gemacht, zum Niederlassen zur Verfügung gestellt, und doch nur Behelfsapparaturen, die teils versehrt, bandagiert und übernutzt wirken. Die BesucherInnen geraten in eine schwankende Position: Inwieweit sollen sie sich auf das partizipative Angebot von West, seine "Formen der Kommunikation" im musealen Raum unter Beisein des kontrollierenden Personals und der Präsenz des Publikums einlassen? Das Hybride der Arbeiten, ihre Verschränkung zwischen Öffentlichem und Privatem, Kunst- und Gebrauchsgegenständen, überträgt sich auf die BesucherInnen.

kunstaspekte: Gibt es einen Königsweg durch die Ausstellung oder soll man sich in bewusster Ziellosigkeit treiben lassen? Ist die Benutzung der dafür vorgesehenen Objekte unumgängliche Erfahrung, um der Ausstellung gerecht zu werden?

E. Badura-Triska: Einen Königsweg durch die Ausstellung gibt es im engeren Sinne nicht. Es macht jedoch Sinn, sie Ebene für Ebene von unten nach oben zu ergehen. Auf dem Weg von der zweiten zur obersten Ebene des Hauses erschließt sich im mumok die Entwicklung von Wests Œuvre, allerdings anhand seiner mehrteiligen Kombiwerke, auf denen der Fokus dieser Schau liegt. In diesen hat West in verschiedenster Weise seine früheren Arbeiten mit später entstandenen sowie wiederholt auch mit Werken anderer Künstler kombiniert. Die mehrteiligen Arbeiten wurden in der Ausstellung so angeordnet, dass jene, welche die frühesten Stücke enthalten, am Anfang stehen, und so ergibt sich – wenngleich im Rahmen von Kombinationen, die West oft erst später schuf – ein Weg von den Arbeiten aus den 1970er Jahren bis hin zu den jüngsten, erst posthum fertig gestellten großen Außenskulpturen.

Der Rundgang beginnt auf der Ebene 2 mit einem frühen Objektbild, das West in seine 1998 entstandene Installation Chou-Chou eingebaut hat. Mit der Genealogie des Ungreifbaren aus dem Jahr 1997 folgt dann eine vom Künstler selbst gestaltete Vitrine, in der die Entwicklung von den frühen Passstücken zu den ersten Möbeln nachvollziehbar wird. Bei dieser Kombinationsarbeit ist West auf die Vorgaben der Werkbesitzerin, der Wiener Generali Foundation, eingegangen. Er hat akzeptiert, dass diese aufgrund der Wertsteigerung nicht mehr zulassen wollte, dass ihre Passtücke, wie eigentlichen vorgesehen, physisch benutzt werden dürfen. Seiner grundsätzlich undogmatischen Herangehensweise entsprechend hat er aus der Not eine Tugend gemacht und diese Vitrine gebaut, aber durch den Titel noch eine verbale Ebene eingeführt, über die die RezipientInnen ergänzend zur visuellen mit der Arbeit in Dialog treten können. Die sprachliche Ebene, in Form von Titeln, aber auch den Werken beigegebener Texte ist insgesamt ein wesentlicher Aspekt in seinem Schaffen. West versteht diese Titel und Texte, die am Werk, im Katalog aber auch – so wie im mumok – direkt neben dem Werk an der Wand angebracht sein können, als integrale Bestandteile der jeweiligen Arbeiten. Ganz besonders dann, wenn man mit ihnen nicht physisch in Kontakt treten kann, sollen sie Ansatzpunkte für einen Dialog mit den Werken sein. Dies ist nicht zuletzt ein wesentlicher Aspekt seiner sogenannten „legitimen Skulpturen“, die ebenso wie die Möbel in Weiterentwicklung der Passstücke entstanden. Ein frühes Hauptwerk dieser „legitimen Skulpturen“, die dreiteilige Arbeit Redundanz aus dem Besitz des mumok, ist am Übergang vom kleinen in den großen Saal der Ebene 2 installiert. Sie zeigt auch, dass West seine Arbeiten nicht nur immer wieder neu gruppierte, sondern auch immer wieder andere Texte dazu schrieb. Wir haben alle Texte, die im Laufe der Jahre zu Redundanz entstanden, an die Wand geschrieben.

Auf Ebene 2 finden sich noch weitere wesentliche Kombiwerke aus den 1980er und 1990er Jahren, während die Ebene 4 den ab 2000 entstandenen Arbeiten gewidmet ist, darunter die beiden letzten, erst nach seinem Tod fertig gestellten großen Alu-Skulpturen. Auf der kleineren, dazwischen liegenden Ebene 3 haben wir mit dem Studiolo eine Zusammenarbeit mit Heimo Zobernig und Zlatan Vukosavljevic installiert. Darüber hinaus hat Heimo Zobernig unter Verwendung von West Sofas und West Lampen auf dieser Ebene eine Lese- und Video-Lounge gestaltet.

Natürlich ist es bei all dem wesentlich, sich auf den partizipatorischen Aspekt seiner Passstücke und Möbel einzulassen. Die Passstücke wollen angefasst und benutzt werden. Sie sind Mittel zur Erfahrung des eigenen Körpers. Werden sie nicht benutzt, entgeht den MuseumsbesucherInnen eine wichtige Komponente zu ihrem Verständnis. Die Kombiwerke, die im Mittelpunkt der Wiener Ausstellung stehen, integrieren die BetrachterInnen sehr oft durch Sitzgelegenheiten, und werden so zu Orten körperlichen Verweilens, an denen auch die eigene Rolle als MuseumsbesucherIn gedanklich durchgespielt werden kann.

kunstaspekte: Welche Erwartung haben Sie an die BesucherInnen und ihre Aufgeschlossenheit beim Umgang mit den Arbeiten? Gibt es in Bezug auf die Reaktionen des Publikums mehr oder weniger einladende und kommunikative Arbeiten?

E. Badura-Triska: Wir hoffen natürlich sehr, dass die BesucherInnen sich auf das Angebot zur Benutzung auch einlassen. Viele tun das bereits. Natürlich gibt es da Unterschiede. Die Passstücke und Möbel sind sehr direkte Aufforderungen zur körperlichen Interaktion. Auch die großen Außenskulpturen sprechen die Einladung zum Benutzen ganz unmittelbar aus, während dagegen die legitimen Skulpturen viel eher der musealen Präsentation entsprechen und nicht als Objekte zum Anfassen gedacht sind. Mit ihnen findet die Auseinandersetzung auf einer assoziativen, gedanklichen Ebene statt. Der Dialog, der grundsätzlich Wests Ziel war, wird hier nur verlagert, nicht aber aufgegeben.

kunstaspekte: Inwieweit war für Franz West das Verhalten der BesucherInnen maßgeblich? Hat ihn das im Detail interessiert und gab es Rückkoppelungen in Richtung seiner künstlerischen Produktion? Er öffnet seine Arbeiten, indem er das Publikum einbezieht und das Konzept des abgeschlossenen Werks hinterfragt. Auf der anderen Seite ist das Arrangement, die Bühne für die Aktion, als Ort und durch Anweisungen weitgehend vorgegeben, nur die möglichen Akteure wechseln. Eine Arbeit von West trägt immer seine unverwechselbare Handschrift mit den von ihm erarbeiteten Qualitäten.

E. Badura-Triska: Wests Werke sind Angebote zur Interaktion, wobei es ihm stets wichtig war, dass es keinen Zwang geben sollte. Seine Angebote kann man annehmen, man muss aber nicht. Die Angebote und auch die Erfahrungssituationen hat er natürlich vorgegeben. Es ist, wie wenn jemand den ersten Satz in einem Dialog sagt, und der andere kann darauf eingehen, antworten, eigene Gedanken dem gegenüberstellen - oder auch nicht. West selbst hat in seiner Arbeit in hohem Maße Dinge aufgegriffen, denen er begegnet ist – nicht zuletzt in Gesprächen mit anderen und er hat natürlich beobachtet, wie die Leute auf seine Angebote reagieren. Auf Reaktionen eines breiteren Publikums ist er unter anderem insofern eingegangen, als er zum Bespiel aus der Erkenntnis, dass viele Leute befangen sind, wenn sie mit Passstücken agieren, wiederholt intimere Situationen geschaffen hat, in denen man beim Umgang mit den Stücken alleine sein konnte. In der Wiener Ausstellung ist die Arbeit Galerie ein Beispiel dafür.

kunstaspekte: Sie sagten während der Pressekonferenz zur Ausstellung, mit West, der im letzten Sommer verstorben ist, wäre die Ausstellung anders geworden, aber sie würde auch so funktionieren. Was heißt das konkret? Ist sie unpersönlicher und retrospektiver als geplant geworden? Welche Unterschiede sehen Sie zur Kölner Retrospektive Autotheater, 2009/2010 im Museum Ludwig?

E. Badura-Triska: Wer Franz West, wie ich, lange gekannt hat, weiß, dass er bis zum letzten Moment an seinen Ausstellungen getüftelt hat. Hätten wir diese große Ausstellung noch gemeinsam realisieren können, wäre dabei sicher etwas ganz anderes herausgekommen, weil er wahrscheinlich bis zum Ende am Konzept und an der Aufstellung gearbeitet hätte, und es wären wohl auch neue Werke für den konkreten Kontext entstanden. Ich habe 1996 mit ihm für das damalige 20er Haus in Wien seine erste große Retrospektive erarbeitet und da war es so. Hätte er noch gelebt, hätte er es sich auch diesmal zumindest nicht nehmen lassen, seine Kombiwerke teilweise neu zusammenzustellen. Das ist natürlich etwas, was wir in der jetzigen Situation nicht tun konnten. Aus diesem Grund ist die Ausstellung vielleicht tatsächlich etwas musealer und retrospektiver ausgefallen, als sie es mit seinem Zutun gewesen wäre. Franz West hat sich aber schon in den letzten Jahren nicht mehr in alle Ausstellungen so intensiv eingebracht, wie er das früher meist tat. Das hing nicht zuletzt mit seiner zunehmenden Krankheit und einem damit einhergehenden Kräfteverlust zusammen. Auch bei der Kölner Ausstellung hatte er, soweit ich informiert bin, die Aufstellung bereits weitestgehend den Kuratoren überlassen und nur in letzter Minute ein paar Dinge adjustiert. Bei der Grazer Station derselben Schau hat er sich dann wieder mehr eingebracht, unter anderem, indem er die Transportkisten im Raum belassen hat, weil er meinte, wenn die dastehen, während man die Ausstellung aufbaut, und man nimmt sie dann weg, fehlt etwas, was vorher einen Faktor im Raum gebildet hatte.

kunstaspekte: Würden Sie West eher als einen unpolitischen Künstler bezeichnen, einen ausgeprägten Individualisten, dessen partizipatives Konzept doch sehr auf das persönliche Erlebnis des einzelnen mit der Arbeit abhebt? Einen Künstler, den das gemeinsame Festlegen und das gemeinsame Verbindliche, das übergeordnete Konzept, in seiner Abneigung gegen Autoritäten eher abstoßen?

E. Badura-Triska: Franz West hat sich intensiv mit philosophischen Fragen beschäftigt und tatsächlich zur Tagespolitik eher Distanz gehalten. Grundsätzlich war er der Meinung, dass man auf jeden Fall politisch links zu stehen habe, alles andere war für ihn von vornherein inakzeptabel und dahingehend hat er sich auch mehrfach geäußert. Es gibt aber sonst so gut wie keine Aussagen zu konkreten politischen Fragen. Auch Wests Beitrag zu den von der Wiener Secession im Jahr 2000 organisierten Protest-Statements der Künstler gegen die damalige Koalition der Freiheitlichen unter Jörg Haider mit der Österreichischen Volkspartei ging in diese Richtung und war darüber hinaus eher kryptisch. Im Übrigen hat er auch das Verhalten der „linken Denker“ mit der gleichen kritischen Distanz beobachtet, die er generell zu allen Aussagen hatte, seien es philosophische oder politische.

kunstaspekte: Bleiben die benutzbaren Arbeiten auch nach seinem Tod ohne die schützende Hand des Künstlers noch zugänglich, oder setzt sich jetzt schon andersartiges Interesse z.B. am dauerhaften Werterhalt durch und lässt die Werke zunehmend unerreichbarer werden? West hat das Ab- und Wegsperren ja schon zu seinen Lebzeiten in Arbeiten thematisiert.

E. Badura-Triska:: Sie sprechen da auf ein Problem an, das sich mit den Jahren immer stärker stellen wird. Schon heute sind leider einige Arbeiten nicht mehr benutzbar, weil konservatorische Gründe mittlerweile dagegen sprechen. Beispielsweise wird heute in der Installation Curaçao weder der zuckrige Likör ausgeschenkt, noch kann auf der Bank Platz genommen werden. Es fallen in diesem Moment sowohl die körperliche als auch die sinnliche Erfahrung des Konsumierens aus, wodurch es in Zukunft schwieriger werden wird, einen unmittelbaren Zugang zu seinen Arbeiten zu erhalten. Und natürlich war sich West mit seiner zunehmenden Popularität auch dieses Problems bewusst. Als die Generali Foundation in Wien 1997 ihre Sammlung mit Werken von Franz West in einer musealen Form ausstellen wollte, entwarf er – wie schon erwähnt – ein Gehäuse zur Präsentation ihrer Passstücke, die als Sammelobjekte nicht mehr benutzt werden dürfen, also gleichsam „stillgestellt“ und buchstäblich „unangreifbar“ geworden waren. In der Genealogie des Ungreifbaren (1997) präsentiert West sie wie museale Artefakte, ähnlich ethnologischen Fundobjekten, deren ursprünglicher Gebrauchskontext verloren ist. In einer Skulptur, die an eine Transportkiste aus dem Museum erinnert, stehen die Passstücke aufgereiht und präsentieren die Entwicklung vom kleinen, handlichen Format hin zum sperrigen Sitzmöbel, das die Benutzung einschränkt und gleichzeitig neu definiert. Es wird sich zeigen, wohin die Entwicklung in Zukunft gehen wird. Wir haben in Wien das Glück, dass sehr viele der ausgestellten Passstücke und Möbel noch benutzt werden dürfen, wenngleich natürlich einige auch schon den konservatorischen Interessen „zum Opfer gefallen sind“. Bei den Passstücken der Installation Ion zum Beispiel handelt es sich um Museumskopien, Abgüsse der Originale, die von den BesucherInnen benutzt werden können. Das hat West selbst noch so veranlasst. Die Praxis zeigt aber leider, dass auch diese Kopien immer wieder beschädigt werden. Wir müssen sie ständig reparieren, und eine musste sogar schon erneuert werden.

kunstaspekte: Wests ausgeprägtes Interesse an philosophischer Lektüre wird immer wieder beschrieben. Auffällig ist, wie sehr er Gedanken, die ihn ansprechen, aus dem ursprünglichen Zusammenhang herauslöst. Ein Satz von Wittgenstein aus dem Tractatus… z.B. klingt im Zusammenhang der Originallektüre, z.B. der Grenzziehungen bei formallogischen und idealsprachlichen Systemen, anders, als im offenen Kontext der Arbeiten von West. Ist das als "bewusste Willkür" von West zu verstehen, Texte nach dem Steinbruchprinzip zu filtern und zu sampeln, also das zu tun, was er auch bei seinen Arbeiten befolgt: sie zusammenzusetzen, wieder auseinanderzunehmen, um sie wiederum neu nach persönlichen Interessen zu kombinieren – als ein Konzept des dauerhaft Fragmentarischen?

E. Badura-Triska: West hat täglich gelesen. Sein Lesestoff war äußerst umfangreich. Philosophische Primär- und Sekundärliteratur ergänzte er durch Schriften aus der Psychologie und Soziologie und – in geringerem Maße – der Kunst. Dabei ging er nicht methodisch vor. Er hat sich im Laufe seines Lebens kreuz und quer durch die Geschichte der Philosophie gelesen und war kaum einmal ohne Buch anzutreffen. Sein Anspruch war nicht exhaustiv. Er suchte nach prägnanten Zitaten und für ihn interessante Stellen. Solche oftmals auch skurrilen Stellen interessierten ihn ganz losgelöst von einem kohärenten Argument der jeweiligen AutorInnen im Hinblick auf die eigenen Themen, die er gerade in Arbeit hatte. Natürlich gab es dennoch einige zentrale Figuren, zu denen er immer wieder zurückkehrte und zu deren Philosophie seine Arbeiten in einem ganz besonderen Näheverhältnis stehen. Hierzu zählten insbesondere Heidegger und Wittgenstein sowie die Texte der französischen Strukturalisten und Poststrukturalisten. Wenn Sie so wollen, entspricht das natürlich einem „Steinbruchprinzip“, das auf Dauer fragmentarisch bleiben muss. Aber es ist zugleich auch tief eingebettet in den philosophischen Kontext, in dem er sich bewegt. Eng verwandt ist seine Arbeit beispielsweise dem von Gilles Deleuze formulierten rhizomatischen Denken, bei dem an allen Stellen immer neu angeknüpft werden kann.

*

ausstellungs-Stationen: Franz West. Wo ist mein Achter?
23.02.13 - 26.05.13 mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
28.06.13 - 13.10.13 MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt