Charlotte Posenenske: Work in Progress, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
30.5. — 2.8.2020

Ein Beitrag von Lothar Frangenberg

1968: eines der damals turbulenten Jahre: Hippies, Flower-Power, Drogen und New Age. Heftige Proteste wider den Vietnamkrieg, Friedensbewegung und rebellische Studentenrevolten gegen alles Etablierte. 1968, ein Jahr, das einer ganzen Generation im Westen den Namen gab. Eine Zeit ebenso voller Aufbruchstimmung und Fortschrittsglauben. Schließlich wurde gerade der Mond bemannt umkreist.

Und auch in der Kunst: Die Künstlerin Charlotte Posenenske hatte ihre Arbeit in kürzester Zeit extrem vorangetrieben. Sie führte mit ihren minimalistischen Wandreliefs und Skulpturen, parallel zu amerikanischen Künstlerkollegen, die Avantgarde im Kunstgeschehen an. Ihr auch partizipatorisch angelegtes Kunstkonzept begann, Früchte zu tragen. Man wurde auf sie aufmerksam. Ihr nächster Schritt folgte. Ein radikaler Schritt nach radikalen künstlerischen Erfindungen. Sie hörte 1968 mit 38 Jahren endgültig auf, Kunst zu machen und widmete sich der Soziologie. Bis zu ihrem Tod war sie in sozialen Projekten engagiert. Bewundernswerte Konsequenz oder zu frühes Aufgeben?

Die Ausstellung ihres Werks im K20 der Kunstsammlung hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Gezeigt werden die wichtigen 12 Jahre ihres Schaffens, ihre Entwicklungsschritte von 1956 bis 1968. Im Arrangement folgt die Schau der Logik des großen, nicht unterteilten Ausstellungssaals, einer weiträumigen, flach-rechteckigen Schachtel. An den beiden Kopfseiten finden sich frühe Kunst-am-Bau-Studien oder kleinformatige, gespachtelte, serielle Malereien. An den Längsseiten hängen überwiegend ihre farbigen, gefalteten und abgekanteten Reliefs aus Metallblech, die Serien A, B und C. Sie gingen ab Mitte der 1960er Jahre den größeren Metall- und Pappskulpturen voraus, den Serien D, DW und E, die die Insider vor allem mit ihrem Namen verbinden. Sie füllen die weite Bodenfläche zwischen den Wänden. Diese Skulpturen kommen wie Prototypen einer industriellen Produktion daher, formal an Lüftungsschächte oder Drehtürsysteme erinnernd. Ihre modularen Elemente lassen sich immer wieder zu neuen Formen zusammensetzen. Das Publikum sollte dabei spielerisch mitmachen können.

Von der Malerei bis zu den performativen Raumarbeiten hat man alles vor Augen. Der Überblick ist stets gewährleistet. Die Werkgruppen und Ensembles stehen im ständigen Dialog zueinander. Diese Präsentation tariert aus, hebt nicht hervor. Die Fokussierung auf die „wichtige“ Arbeit, das Meisterwerk, wird vermieden. Eine theatralische Zuspitzung der Entwicklung innerhalb des Werkes findet nicht statt. Die drastischen Veränderungen sind ablesbar, aber entschärft. Das räumlich wohl sortierte Ausstellungsdisplay zeigt proportional reizvolle Gruppierungen oder Überschneidungen mit Farb- und Materialwechsel, aber damit zu viele optische Reize im Zusammenspiel. Dies mindert die Radikalität der skulpturalen Einzelobjekte, passt sie stark dem Kontext an, und der ist museal. Sie verlieren den Bezug auf einen ihnen eigenen Standort, den sie konkret reflektieren. Mit all den dargebotenen visuellen Verlockungen tut man sich schwer, die damalige Radikalität der künstlerischen Aussage nachzuempfinden.

Die Ausstellung belegt mit Schriftstücken und weiterem Anschauungsmaterial, wie sehr sich Posenenskes Anforderungen an künstlerisches Tun verschärften. Sie zweifelte zunehmend an der Aufrichtigkeit des Systems „Kunst“ samt Markt und den darin zirkulierenden Kunstobjekten. Sie vermisste die gesellschaftliche Wirksamkeit. Sie strebte offene, demokratische Abläufe an, sowohl bei der Produktion der Arbeiten als auch beim Handel oder der Nutzung. Sie wollte keine elitären Einzelstücke entwickeln. Ihre Prototypen waren ohne Signatur und ohne begrenzende Auflagen reproduzierbar. Bisherige Kunstproduktion mit den klassischen Genres standen für ein überholtes Kunstverständnis. Als Ideal sah sie die komplette Integration künstlerischen Handelns in konkrete gesellschaftliche Arbeit an. Ihre Erwartung war, dass solch künstlerische Praxis auch neue gesellschaftlichen Praktiken herbeiführt.

Ein Circulus vitiosus: Kunst sollte gemäß ihrem Anspruch eine große aufklärende Wirkung entfalten: über Herstellungsprozesse, deren Machtverteilung und wem diese zugutekommt. Gleichzeitig strebte sie an, Arbeiten zu erzeugen, die sich nicht als Kultobjekte eignen, nichts Auratisches und Elitäres ausstrahlen, die als Kunstwerke immer weniger erkennbar wären. Nur wie heben sich solche Gebilde noch von den unendlich vielen, selbstverständlichen Alltagsdingen ab? Die Kontextverschiebung zwischen Kunst- und Alltagsauftritt ändert Wahrnehmung, Lesbarkeit und Deutung des (Kunst)Objekts. Wenn man den Werken das „Künstlerische“, Ereignishafte, Bedeutungsvolle und das ästhetisierende Momentum entzieht, tauchen sie dann nicht in pure Normalität ab?

Ihre Aporie: Sie führte 1968 die westlichen Kunstavantgarden mit an. Das verschaffte ihr Achtung und Anerkennung. Ihre Arbeiten fielen auf – in eben dem Kunstbetrieb, den sie ablehnte. Gerade Posenenskes künstlerische Radikalität machte sie für den Markt interessant. Sie bewegte sich im Kanon schneller, westlicher Kunstentwicklungen und hätte dafür weiter belohnt werden können. Das wollte sie nicht und stieg aus.

Sie hat ihre Kreativität dem Kunstmarkt verweigert. Ihr Bemühen, sich industriellen Prozessen anzunähern, lässt die Frage offen, ob über avantgardistische Kunstpraxis solch industrialisierte, systemoptimierte Herstellungsformen und ihre ausbeutenden Methoden auch kritisch beleuchtet werden? Kann fordistische Produktion Vorbild einer nicht affirmativen Kunst sein? Erfolgreiches Arbeiten innerhalb künstlerischer Avantgarden führt ja nicht automatisch zu gesellschaftlicher Relevanz oder gar Veränderung. Aber das mag eine für sie trügerische Hoffnung gewesen sein.