Ein Interview von Lothar Frangenberg mit Julian Heynen zu den Arbeiten von Richard Deacon.

Parallel finden drei Ausstellungen mit Arbeiten von Richard Deacon statt. Im Museum Folkwang in Essen wird das grafische Werk in einem großen Überblick gezeigt. In der Langen Foundation und der Skulpturenhalle der Thomas Schütte Stiftung in Neuss gibt es Einblicke in die vielfältigen, skulpturalen Werkgruppen bis hin zu ganz neuen Arbeiten. Julian Heynen, der Kurator der Essener Ausstellung, beantwortet die folgenden Fragen zum Gesamtwerk und im Speziellen zu der von ihm betreuten Präsentation im Museum Folkwang:

kunstaspekte: Bei Richard Deacon denkt man unwillkürlich an die in vielen Arbeiten und Werkgruppen vorgeführten Techniken des Zusammenfügens und Verbindens – oft an Objekten demonstriert, die sich auf Gerüsthaftes zu konzentrieren scheinen. Es sind linienartige Gebilde aus Holz, die im Raum schwingen, verdreht bis zu ihrer Belastungsgrenze, oder Konstrukte mit Oberflächen, deren Befestigung in fast rhythmisierender Wiederholung präsentiert werden: Skulpturen, die nicht Masse thematisieren, sondern sich ineinander und gegeneinander (ver)winden und dabei ihre eigene Leere umkreisen. Seit geraumer Zeit, auch mit Deacons Hinwendung zur Keramik, werden die Formen vielfach fester und objekthafter. Während die offeneren Formen den Raum mit dem Betrachter zu teilen scheinen, beanspruchen die kompakteren, abgeschlosseneren ihren eigenen Raum zwischen sich und dem Betrachter, schaffen mehr Distanz: Ist dieser Eindruck richtig und lässt sich als Entwicklung im Gesamtwerk feststellen?

Julian Heynen: Schon vor den Arbeiten in Keramik (ab 1999) gab es neben den offenen auch geschlossene Formen. Seitdem hat sich das Feld der kompakteren Arbeiten jedoch erweitert. Allerdings gibt es (nicht zuletzt auch bei den keramischen Arbeiten) weiterhin solche, die eine offene Konstruktion darstellen. Es sind beides Modi im Werk von Deacon, die sich ergänzen.

kunstaspekte: Wie verstehen Sie Richard Deacon, wenn er sich beim Erläutern seiner Arbeiten als „fabricator“ bezeichnet und gilt diese Kennzeichnung seines Tuns trotz aller Unterschiede für alle Werkgruppen bis heute?

Julian Heynen: Mit „fabricator“ ist zweierlei gemeint. Zum einen die Tatsache, dass Deacon seit den 1980er Jahren bei vielen seiner Skulpturen mit anderen Leuten, mit Technikern und Handwerkern, zusammenarbeitet. Das gilt für die Werkstoffe Holz und Metall ebenso wie für die Keramik. Kooperation hat für ihn einen eigenen Wert. Zum anderen bedeutet „to fabricate“ aber auch „erfinden“, ja, „fälschen“. Das Wort spielt also auf die poetische, die metaphorische Dimension seiner Arbeiten an.

kunstaspekte: Der Künstler spricht im Zusammenhang mit den Regeln und Beschränkungen, die er sich beim Arbeiten auferlegt, um nicht zu sehr den gewohnten Vorstellungen und dem eigenen Gestaltungskanon ausgeliefert zu sein, auch von den Dimensionen des Sozialen und des Gesellschaftlichen. Wie ist dieser Zusammenhang zu verstehen? Hängt er mit dem Begriff des „fabricators“ zusammen?

Julian Heynen: Ich denke, er meint, dass das Widerspiel von Beschränkung und Freiheit z. B. beim Zeichnen eine Art parallele Konstellation zum Verhalten des Individuums im Hinblick auf Gesellschaft ist. Er ist generell ein an soziologischen und politischen Phänomenen sehr interessierter und kenntnisreicher Mensch. Und sicher ist ein Künstler, der sich als „fabricator“ versteht, jemand, für den die Kunst schon bei der Herstellung notwendigerweise im sozialen Raum existiert.

kunstaspekte: Das Zeichnen betreibt Richard Deacon großenteils nicht als eine Tätigkeit, die zu den erwartbaren (Vor)Studien des Bildhauers zur Erstellung seiner Skulpturen führt. Konzepte des dreidimensionalen Raums dominieren seine Zeichnungen augenscheinlich nicht: In welchem Verhältnis stehen die Zeichnungen und Drucke zu seinem skulpturalen Œuvre? Stehen sie als eigene Disziplin autonom und gleichberechtigt neben den Skulpturen?

Julian Heynen: Ja, das kann man für die meisten Arbeiten auf Papier so sagen. Wobei „autonom“ vielleicht ein zu starkes Wort ist. Ich würde „unabhängig“ bevorzugen. Das heißt aber natürlich nicht, dass es in den Zeichnungen und Drucken nicht um ähnliche Fragestellungen wie bei den Skulpturen geht – nur eben im Rahmen einer anderen Disziplin, aus einer anderen Perspektive heraus.

kunstaspekte: Wie lassen sich unterschiedliche, konzeptuelle Ansätze in Bezug auf die skulpturalen und grafischen Werkgruppen beschreiben? Bei den Zeichnungen scheint eine gezielte Auseinandersetzung mit den zweidimensionalen Gegebenheiten auf der Fläche vorzuherrschen?

Julien Heynen: Notwendigerweise ist das der phänomenologische Rahmen. Aber wie steht es mit der Zweidimensionalität, wenn Deacon z. B. Zeichnungen mit Fotografien kombiniert? Ich glaube, es ist zu einfach, wenn man die Frage auf die unterschiedliche Zahl von Dimensionen reduziert. Es kommt doch bei beiden Disziplinen sehr auf den Kontext, die konkrete Perspektive und auf die Assoziationen, die sich einstellen, an.

kunstaspekte: Er selber spricht immer wieder vom Zusammenspiel von Zeichnen und Denken. Was ist darunter zu verstehen?

Julian Heynen: Er will damit andeuten, dass Denken und Zeichnen nah beieinander liegende Fähigkeiten und Tätigkeiten sind. Sicher nicht im Gegensatz zur Skulptur – oder zu jeder menschlichen Tätigkeit –, aber doch auf eine besonders intime, spontane Weise, weil weniger Aufwand materieller und technischer Art getrieben werden muss. Und außerdem sollte man die Rolle der grafischen Notiz für das Festhalten von Gedanken nicht vergessen.

kunstaspekte: Welche Präferenzen hatten Sie als Kurator in Zusammenarbeit mit dem Künstler bei der Auswahl und Präsentation der Zeichnungen und Drucke?

Julian Heynen: Es ging zuerst einmal darum, dieses wichtige Feld von Deacons künstlerischer Tätigkeit im Überblick zu präsentieren. Das hat es bisher so noch nicht gegeben. Bei der Auswahl galt es, die besten und die signifikantesten Arbeiten herauszufinden. Künstler und Kurator blicken da sicher bisweilen aus unterschiedlichen Perspektiven. Aber wenn man sich und das Werk lange kennt, ergänzen sich die Innen- und die Aussensicht fast von alleine. Wichtig war uns auch, den Akzent auf die Tätigkeit des Zeichnens als solche und nicht in erster Linie auf das einzelne, herausragende „Meisterwerk“ zu legen. Daher das Bemühen, Gruppen, Serien von Arbeiten zu präsentieren.

kunstaspekte: Warum findet gerade jetzt ein derartiger, konzertierter Auftritt statt? Ist die künstlerische Haltung Richard Deacons aktuell von besonderer Bedeutung?

Julian Heynen: Ich denke: Ja! Deacons Kunst zeigt, dass es immer noch auf das Verhältnis, die Stellung des einzelnen zur „Welt“ wie man sie vorfindet ankommt. Und dass man als Künstler keine – und seien es selbst gesetzte – Pläne und Themen abzuarbeiten hat, sondern experimentieren, sich selbst überraschen sollte. So betrachtet ist das, was intim erscheint (das Zeichnen) gar nicht so irrelevant im Hinblick auf den gesellschaftlichen usw. Rahmen.

kunstaspekte: Heute scheint der Objektstatus künstlerischer Arbeiten oft zwischen Alltags- oder Designgegenständen zu oszillieren oder ihre Grenzen verflüchtigen sich im Projekthaften, Performativen und Virtualisierten. Aus dieser Perspektive könnte man Richard Deacon als einen eher handwerklich orientierten „Konservativen“ einordnen, dessen Arbeit im Vergleich in einem traditionelleren Anstrich daherkommt: einer, der sich mit Anstrengung am Material abarbeitet. Gerade seine Skulpturen aus Keramik scheinen dabei zunehmend als exklusive Objekte aufzutreten, die nicht nur den Betrachter zum Staunen bringen, sondern auch den Künstler mit ihren reizvollen, den Vorgang des Fabrizierens teils überspielenden Oberflächen verführt haben. Wie stehen Sie zu einer solchen Einschätzung?

Julian Heynen: Was heißt schon „Handwerk“ und „konservativ“?! Ist Photoshop und Ähnliches kein „Handwerk“, und ist neueste Technik grundsätzlich in einem übergeordneten Sinn „progressiv“? Künstler operieren im Gegensatz zu Journalisten oder Politikern modellhaft. Und wie ihr jeweiliges Modell beschaffen ist, sagt noch nichts über seine Relevanz aus. Mitunter ist es gerade ein Modell oder ein Metier, das „alt“ aussieht, das gerade wegen seiner Sperrigkeit gegenüber zeitgenössischen Phänomenen wichtige Fragen an sie stellen kann.