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Angelika Loderer
Soil Fictions 6. März 2024 – 15. September 2024

Angelika Loderer entwirft im Belvedere 21 eine Installation, für die der Boden mit seinen ökologischen, ökonomischen, politischen wie kulturellen Narrativen den common groundbildet.

Generaldirektorin Stella Rollig: Angelika Loderer ist eine der spannendsten österreichischen Bildhauer*innen ihrer Generation. Ihr Œuvre kreist um den Lebensraum Erde und sein durch menschliches Handeln gefährdetes Ökosystem. Nachdem sie seit 2019 bereits in zwei Belvedere-Ausstellungen mit Werken präsent war, zeigt das Belvedere 21 nun ihre erste Personale in einem Museum.

Die 1984 im steirischen Feldbach geborene Künstlerin zählt zu den international am stärksten rezipierten österreichischen Bildhauerinnen der Gegenwart. Durch die unkonventionelle Abwandlung klassisch bildhauerischer Techniken hat sie ein eigenständiges Formen- und Materialvokabular entwickelt, das sie nutzt, um den Boden und dessen vielfältige Funktionen zwischen Lebensraum und Zeitspeicher zu ergründen. Das Interesse am Untergrund und an den dort lauernden Geschichten, an der Spannung zwischen Sichtbarem und Verborgenem, zwischen Flüchtigkeit und Permanenz zieht sich als roter Faden durch Loderers Werk. In einer kritischen Befragung des Skulpturenbegriffs, speziell der Formfindung und Autorinnenschaft, wählt Loderer mitunter den kreativen Dialog mit nichtmenschlichen Lebewesen, deren Habitat das Erdreich ist: Sie eignet sich von Tieren geschaffene Höhlen und Gänge als Gussformen an oder nutzt die Wachstumsprozesse von Pilzmyzel als gestaltendes und materialveränderndes Element. Den künstlerischen Prozess öffnet sie dadurch nicht nur für den Zufall, sondern auch für die Idee eines posthumanistischen Miteinander der Kreaturen. Die Ergebnisse sind Hybride aus Tier- und Menschgemachtem, Funktionalem und Künstlerischem, Fakt und Fiktion.

Kuratorin Verena Gamper: Mit der Installation Soil Fictions gelingt Angelika Loderer das seltene Kunststück, anhand fast ausschließlich neuer Werke eine analytische Perspektive auf ihr bisheriges Œuvre zu eröffnen. Ihre Reflexion über den Boden als Lebens- und Handlungsraum der Vielen ist auch als ein Aufruf zu einem neuen Selbstverständnis des Menschen zu lesen: nicht mehr der über die Erde verfügende Gestalter, sondern Teil einer Gemeinschaft der Lebewesen.

In Soil Fictions inszeniert Angelika Loderer einen Formen- und Materialteppich, der auf den ersten Blick vor allem aufgrund der Gleichbehandlung aller Exponate irritiert. Egal ob aus Metall oder Wachs, aus Gips oder Lehm, egal ob Monitor oder Guss, Artefakt oder Fundstück: Die Objekte liegen oder stehen auf dem Boden des Ausstellungsraums. Alle Ausstellungsstücke haben einen starken Bodenbezug: Entweder handelt es sich um Formen, die der subterranen Unsichtbarkeit entrissen wurden, oder um Objekte, die im oder auf dem Boden gefunden wurden.

Manches ist winzig klein, wie mit Gips ausgegossene Grillenlöcher oder die Lehmkokons von Wespen, die die Präzision ihrer Architektur erst bei Betrachtung aus nächster Nähe preisgeben. Anderes verführt durch den Schimmer der bronzenen Oberfläche, bevor es sich als Guss einer im Straßenverkehr getöteten Schlange entpuppt. Der Mensch ist in Soil Fictions ein Handelnder unter vielen und nur durch Spuren präsent: motivisch in Form des konservierten Abdrucks einer Berührung, indirekt als Hersteller von Artefakten oder als Verursacher von Prozessen. Stattdessen betreten andere Akteur*innen mit eigenen Form- und Materialkriterien die Bühne: die Mörtelwespe mit ihren Miniaturarchitekturen, der Specht mit seiner in Wachs ausgegossenen Höhle, der Maulwurf mit seinen komplex verlaufenden unterirdischen Gängen, die als Metall- und Gipsgüsse sichtbar werden. Jedes einzelne Exponat verwehrt sich mittels Form, Dimension, Material oder Fragmentierung gegen ein rasches Erkennen und Kategorisieren. Durch den Verzicht auf Sockel wird zudem jegliche Hierarchisierung unterbunden. Mit dieser inszenierten Gleichwertigkeit der Exponate als Bild eines Miteinanders der Lebewesen zeigt sich Loderers künstlerische Praxis als aktueller wie virulenter Beitrag im zeitgenössischen Diskurs um das Anthropozän, seine Folgen und Alternativen.