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Ashley Hans Scheirl. Genital Economy Posing
05.05.2018 - 21.06.2018

In Ashley Hans Scheirls „life art“ steht das Hinterfragen von gesellschaftlichen Normen und Verhältnissen sowie die Weiterentwicklung des Umgangs mit der eigenen Identität und Sexualität im Zentrum ihrer oft medienübergreifenden Arbeiten. Dabei steht die Verschränkung von Biographie und Kunst, die Frage nach der eigenen Identität, das Überwinden von Geschlechter- und Genregrenzen zur Disposition. Scheirl, die laut Eigendefinition „Trans-(-media, -genre, -gender)Künstler_in“ ist, wechselt gekonnt zwischen den Formaten aus Malerei, Zeichnung, Skulptur, Film, Video und Performance, ohne sich auf bestimmte Klassifizierungen einzulassen.

Für ihre bislang größte institutionelle Einzelausstellung im Grazer Künstlerhaus – Halle für Kunst & Medien präsentiert Ashley Hans Scheirl (*1956 Salzburg, lebt in Wien) eine in sich schlüssige Auswahl bestehender Arbeiten und einen neuen Werkkomplex, basierend auf zum Teil für die Ausstellung ortsspezifisch angefertigten Malereien und Objekten. Die Künstlerin, die bereits Ende der 1980er-Jahre durch ihre experimentellen Film- und Videoarbeiten einen hohen internationalen Bekanntheitsgrad erlangt und zuletzt auf der Documenta 14 in Kassel einen vielbeachteten Auftritt hatte, widmet sich in den letzten Jahren wieder verstärkt der Malerei, die hier neben und in einem annähernd performativen Streifzug durch das „Trans-mediale" präsentiert wird. In einem eigens mit der Künstlerin Jakob Lena Knebl entworfenen raumgreifenden Setting führt Scheirl das Publikum ähnlich eines Parcours entlang mehrere Ebenen ihrer vielfältigen künstlerischen Arbeit, die sich in kräftigen Bildern und präzisen Statements zu einem fortlaufenden Narrativ aufbauen.

Vom Foyer des Ausstellungshauses führt ein roter Teppich in den Hauptraum und die Wände hinauf. Großflächige Malereien basierend auf Collagen aus digitalen Fotografien und Gemaltem werden installativ eingesetzt. Skulpturale Elemente hängen von der Decke, Schriftzüge und weitere Elemente ragen in den Raum. Auf der im Zentrum der Ausstellungshalle befindlichen Plattform, die begehbare Malerei, Bühne und Filmset zugleich ist, wird Scheirl zur Eröffnung der Ausstellung eine „live art performance“ inszenieren, in der die Künstlerin als „Malerfürst“ auftritt und zum Publikum spricht. Die Performance wird auf Video aufgezeichnet und anschließend in der Ausstellung gezeigt. Für Scheirl geht es in dieser Arbeit um „die Vorbildhaftigkeit der Künstler_innenpersönlichkeit im ‚Bio'-Kapitalismus: Vitalismus, Kreativität und Flexibilität sind zu Bedingungen in der neoliberalen Gesellschaft geworden“.

Auf einem großzügigen Display wird im Seitenraum der Ausstellungshalle eine umfangreiche Auswahl von älteren und zum Teil erstmals präsentierten Zeichnungen der Künstlerin zu sehen sein. In der Apsis des Künstlerhauses werden zahlreiche Film- und Videoarbeiten aus unterschiedlichen Schaffensphasen kombiniert gezeigt. Die Zeichnungen und Videos lassen immer wieder Querverbindungen zu den aktuellen als auch zu den performativen Arbeiten der Künstlerin erkennen.

Schon in den Titeln von Scheirls Arbeiten wie „The Alchemy of Libidinös Currencies", „Corporate Kastration" oder „Öl, Gold, Eier" zeichnet sich ab, dass es sich hier um eine Zusammenführung von nur scheinbar distanzierten Bereichen handelt: einerseits das subjektive Begehren und die Konstruktion der (geschlechtlichen) Identität und andererseits der globale Kapitalismus und seine wirtschaftlichen Interessen. Die Trennung von Innen- und Außenwelt, Privatsphäre und Öffentlichkeit, männlich und weiblich wie Subjekt und Ökonomie offenbart sich als ideologische Konstruktion, die sich zuletzt gerade um Fragestellungen der Identität zuspitzt. Bezug nehmend auf den französischen Philosophen Jean-Françoise Lyotard ließe sich sagen, dass Realitätserfahrung sowie deren Produktion und somit Machtverhältnisse gefärbt und befeuert von einer libidinösen Leidenschaft und einer „Ökonomie des Begehrens“ sind. Dieses immer neu zu produzierende und in sich zirkulierende Un/Ordnungssystem regelt sowohl die Energie der Begehrensströme und den Puls der Widerstände gegen das Begehren, als auch die Energie, die gewonnen wird, wenn das Begehren aufgeschoben wird, also auf ein anderes „Medium“ und in ein anderes Zeitsystem übertragen wird. Diese uns ursächlich antreibenden Kräfte, Intensitäten und Affekte scheint Scheirl bestmöglich als Antrieb zu nutzen um die im Laufe ihrer künstlerischen und zutiefst subjektiven Entwicklung aufgebaute Un/Ordnung in „Bilder und Sprachen des Begehrens“ zu übersetzen, die insofern zirkulierende und trans-mediale Arbeiten darstellen. Diese sukzessive Erweiterung und Übersetzung von Fragestellungen nach Identität, Körper und Kunst setzt Scheirl in Graz fort: „In der Ausstellung möchte ich die Zirkulation meiner Körperteile mit der Zirkulation der verwendeten Medien überlagern“.

Aufgewachsen als „Angela“ beschloss sie an ihrem 40. Geburtstag Testosteron zu nehmen und sich „Hans“ zu nennen. Als Kritik an laufenden Identitätszuschreibungen und entsprechenden Diskursen nahm Scheirl nun ihren 60. Geburtstag zum Anlass den Vornamen „Ashley“ anzunehmen. Ohne von A nach B gehen zu wollen wählt Scheirl performativ die (Anti)Identität „Transgender“. Dieser „trans-...“ Identität eilen Name, Stimme und die stetige Versicherung der klaren Geschlechtszuordnung durch die Sprache – und ihrer Bilder – voraus.

Ashley Hans Scheirl studierte Restaurieren auf der Akademie der Bildenden Künste in Wien (Diplom 1980). Zwischen 1978 und 1985 war sie beteiligt an den performativen Musik- und Geräuschexperimenten von „8 oder 9" und „Ungünstige Vorzeichen". Zwischen 1979 und 1996 entstanden rund 50 Super-8 Kurzfilme. 1981–82 lebte Scheirl in New York und arbeitete für Arleen Schloss' Off-Space „Wednesdays at A's". Bekannt wurde Scheirl durch die beiden Avantgarde Spielfilme „Rote Ohren fetzen durch Asche" und „Dandy Dust". Scheirl lebte 16 Jahre in London, um Teil einer Szene von Queer- und Transgender-Künstler_innen zu sein. 2003 Abschluss eines Postgraduate Studium (M.A.) der Bildenden Kunst (Malerei/Installation) auf dem Central Saint Martins College of Art and Design in London. Nach Scheirls Rückkehr 2005 nach Wien Verleihung des österreichischen Staatsstipendiums für Bildende Kunst 2006. Seit Herbst 2006 ist Scheirl Professor_in für „Kontextuelle Malerei“ an der Akademie der Bildenden Künste in Wien.

Zu sehen waren Scheirls Arbeiten u.a. im Museum of Modern Art in New York, in der Kunsthalle Düsseldorf / KIT, im Taxispalais Kunsthalle Tirol, im Kunsthaus Bregenz, im MUSA Museum Startgalerie Artothek Wien, in der Shedhalle Zürich, in der Galerija Nova in Zagreb, im MACBA Museu d/Art Contemporani de Barcelona, im Museum Moderner Kunst Wien sowie zuletzt auf der Documenta 14 in Kassel und Athen.

Die Ausstellung wird von einem Rahmenprogramm, Beiträgen auf der Online-Publikationsplattform des Künstlerhauses (journal.km-k.at) und einem Katalog begleitet, der in Zusammenarbeit mit dem Salzburger Kunstverein und mit Unterstützung von „Kontakt. Art Collection – Erste Group / ERSTE Foundation“ entsteht.