press release only in german

Neben ganz aktuellen Arbeiten in „Der andere Ort“, stellt die Galerie Ahlers die 2015 produzierte Installation mit dem Titel „Kinderfachabteilung“ erstmals einer breiten Öffentlichkeit vor. Eine Arbeit über ein brisantes, bisher kaum beachtetes Thema in der NS-Diktatur. Eine Reaktion mit den Mitteln zeitgenössischer Kunst auf Unterdrückung und Gewalt dieser Epoche, mit einem Verweis auf eine Realität, die uns beunruhigend umgibt. Ein Kunstwerk individueller, sehr spezifischer Sicht- und Erfahrungsweisen auf die Wirklichkeit.

Zur Ausstellung - Der andere Ort – Heterotopos nennt Michael Foucault Orte in denen Menschen mit der herkömmlichen Zeit brechen und Räume die nach eigenen Regeln funktionieren.

Birgid Helmy hat sich schon in ihren frühen Arbeiten mit dem individuellen und kollektiven Unterbewussten im Zusammenhang mit ihrer persönlichen Geschichte wie auch allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen auseinandergesetzt. „Näher dem Verborgenen, Unbewussten als dem scheinbar Offensichtlichen, näher der Nacht als dem Tag und nie rückstandslos übersetzbar in sprachlichen Diskurs“ so beschreibt die Künstlerin ihre bildhaften Vorstellungen, die sie in Zeichnungen, Malerei und Plastiken ausdrückt. Ausgangspunkt sind häufig Träume und intuitiv skizzenhafte Zeichnungen.

Ihr zentrales Thema ist der Mensch als singuläres Wesen oder in seinen sozialen, emotionalen Beziehungen zum mittelbaren und unmittelbaren Umfeld. Die Auseinandersetzung damit ist Ausgangspunkt vieler Arbeiten. Ihr künstlerischer Ausdruck zeichnet sich über ironische Brechungen, hintergründigen Humor, aber oft auch durch eine stille absurde Traurigkeit aus.

Neben den kreativen künstlerischen Prozessen spielt die handwerkliche Ausführung eine wichtige Rolle. Die Skulpturen werden von ihr modelliert, in ihrer Werkstatt gegossen und final bearbeitet. Die Rezepturen der unterschiedlichen Materialien werden von ihr kontinuierlich weiterentwickelt. Es ist ihr Anliegen, eine der ältesten künstlerischen Ausdrucksformen und das damit verbundene kulturelle Erbe, über aktuelle künstlerische Konzepte, Themen und auch über moderne Materialien in der Gegenwart zu verankern. Seit 6 Jahren arbeitet Birgid Helmy in Atelierräumen im Künstlerhaus6 in der Psychiatrie auf dem Eichberg im Rheingau. Im Künstlerhaus befinden sich mehrere, jeweils in sich abgeschlossene Ateliers professioneller Künstlerinnen und Künstler als auch von so genannten „Outsiderkünstlern“. Dieses neue Umfeld wird für Helmy, im Dialog mit dem Eigenen, immer häufiger zum Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit.

Neben persönlichen Arbeiten wie u.a. „Herzzeitloser“, „ Frau Geier“, „ Eingenistet“, entstanden im letzten Jahr verstärkt Arbeiten mit gesellschaftspolitischem Hintergrund u.a. „Fassbinder“, „Asyl“, „Kinderfachabteilung“.

Zur Installation –Kinderfachabteilung-   

Während der NS Diktatur wurde die ehemalige Reformpsychiatrie, Heil-und Pflegeanstalt Eichberg (heute Vitos Rheingau), zu einer der Tötungsanstalten im Dritten Reich. 450 Menschen wurden auf dem Eichberg zwangssterilisiert. Fast 2300 Menschen brachte man von dort in den „grauen Bussen“ nach Hadamar zur Tötung in die Gaskammer. 2500 Menschen wurden auf dem Eichberg direkt ermordet, darunter 500 Kinder. Für die Ermordung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen wurden ab 1939 im deutschen Reich über 37 Kinderfachabteilungen eingerichtet. Ziel war es „lebensunwertes Leben“, aufgrund rassenhygienischer Vorstellungen und wirtschaftlicher Überlegungen, zu erforschen und zu vernichten. Die Morde und die medizinischen Versuche wurden von Ärzten und Pflegern durchführt.

Birgid Helmy arbeitet seit Jahren in der AG Gedenkstätte der Klinik mit. In diesem Zusammenhang ist auch der Entwurf für eine Gedenkstätte auf dem Klinikfriedhof für die im 3.Reich ermordeten Menschen entstanden „Wie nah und wie fern“ und aktuell die Arbeit „Kinderfachabteilung“.

Die Installation „Kinderfachabteilung“ besteht aus 43 individuellen Urnen, die im Gedenken an die ermordeten Kinder von Helmy modelliert wurden. Ergänzt um vier gemalte Portraits verantwortlicher Ärzte, Verwaltungsbeamter und medizinischem Hilfspersonal für die Euthanasie: Dr. Karl Brandt, Leibarzt von Hitler und Dr. Philipp Bouhler Leiter der Staatskanzlei, beides Architekten des Euthanasieprogramms. Dr. Friedrich Mennecke und Ehefrau Eva sowie der Arzt Walter Schmidt. Dr. Mennecke war von 1939 - 1943 Direktor der Eichbergklinik, Dr. Schmidt von 1941 - 1945 Leiter der Kinderfachabteilung und von 1943 – 1945 Direktor der gesamten Klinik. Beide sind für die Durchführung des Euthanasieprogramms auf dem Eichberg verantwortlich.

Mit der Gegenüberstellung und Konfrontation von Tätern und Opfern in der Installation, werden das Unfassbare und die Skrupellosigkeit ganz normaler Menschen thematisiert. Besonders von Ärzten die den hippokratischen Eid geschworen hatten. In Deutschland waren etwa (20.000 Ärzte?) an diesen Morden beteiligt. Sie taten es freiwillig. Ärzte die sich nicht beteiligten, hatten keine Repressalien zu befürchten.

Nach 1945 wurden einige von ihnen verurteilt, aber spätestens nach 10 Jahren waren auch die letzten begnadigt. Viele davon, darunter auch Dr. Schmidt, Leiter der Kinderfachabteilung auf dem Eichberg, praktizierten danach wieder.

Helmy bewegt neben der Trauer über das Geschehene, die Frage, warum und wie werden Menschen zu solchen Tätern. Was können wir daraus in Bezug auf aktuelle Geschehnisse, z. B. dem Vorgehen von Terrororganisationen und staatlicher Willkür im Umgang mit Minderheiten, lernen. Die Arbeit wird ergänzt, durch ein Kinderportrait, welches die medizinischen Versuche an Kindern symbolisiert und über ein Portrait von Hannah Arendt, die wichtige Hinweise über mögliche Handlungsmotive von Tätern (Banalität des Bösen), erarbeitet und publiziert hat.