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Der Soziographische Blick 1
INTRO-POOL
Kommunikations- und Informationspool
Kooperation mit Kühn / Malvezzi Architekten; Architekturstudentenkollektiv „ckittipippi - Freunde des Städtebau“; Künstlerkollektiv NLK

Der Begriff „Soziographie“, den der Holländer Sebald Steinmetz 1913 erstmals in die Soziologie einführte, stellt den thematischen Überbau für das Jahresprogramm 2004 des Kunstraum Innsbruck dar. Im soziologischen Sprachgebrauch wird dieser Begriff für einen bestimmten gesellschaftlichen Zustand unter Berücksichtigung spezifischer zeitlicher wie geographischer Parameter angewandt. Das soziale Layout von Gesellschaften, das sich in Form sozialstatistischer Befunde und Analysen darstellt, wird von theoretischen Konzepten und ökonomischen Ideologien geprägt - wie etwa Toyotismus, Neoliberalismus -, die aktuelle gesellschaftliche Zustände und Krisen typisieren. Gerade die Veränderungen zentraler statistischer Größen, wie das Sinken der Lohnquote, das Steigen der Produktivität und der Arbeitslosigkeit, Expansion der Bildungsbeteiligung usw. können als Belege für gesamtgesellschaftliche Veränderungen herangezogen werden, deren Bedeutung es festzustellen und deren politische Folgen es abzuschätzen gilt.

Dies bestimmt auch unsere aktuelle Kultur- und Kunstauffassung. Durch den Prozess der Europäisierung/Globalisierung scheint es auf den ersten Blick, als würden sich die Grenzen zwischen den Kulturen und ihren künstlerischen Ausdrucksmitteln auflösen, aber analytisch betrachtet, schafft die enge Vernetzung nicht einen großen Kulturpool, vielmehr wird die alte kulturelle Vielfalt der Welt durch neue Ungleichheiten ersetzt. Dabei sind ökonomische und geographische Parameter heute unmittelbar verknüpft: Globalisierung operiert zum Vorteil einer Minderheit und marginalisiert den Großteil der Weltpopulation. Wie geht die Mehrheitsgesellschaft eines Staates mit den auf seinem Gebiet lebenden „fremden Kulturen“ um, und wird sie als Bedrohung, als Störfaktor, oder als Bereicherung wahrgenommen? Umgekehrt gefragt: Wie setzen Minderheiten ihre kulturelle Differenz ein, um sich auf der globalen Ebene Gehör zu verschaffen und ihre eigenen Interessen durchzusetzen? Denn weder ZuwandererInnen, noch Roma, noch GastarbeiterInnen oder Flüchtlinge zählen zu den nationalen Führungsschichten. Kulturelle Strukturen, Kategorien und Standards sind von Machtbeziehungen geprägt. Welche kulturellen Differenzierungen Gehör finden, welche ignoriert, unterdrückt oder „folklorisierend“ toleriert werden, hängt von den global dominierten Strukturen ab. Weitere Themen wie „Postkolonialismus und seine Folgen“, „Utopievorstellungen“, „immaterielle Arbeit und informationelle Ökonomie“ werden anhand von Vorträgen diskutiert.

Betrachten wir Kunst als Teil unserer Gesellschaft, der sich gleichzeitig autonom und affirmativ verhält, provozieren politische und ökonomische Diskrepanzen eine Situation, in dessen Spannungsfeld sich kulturelle Transformationen realisieren: Ist in der Kunst noch erlaubt, was sich die Gesellschaft sonst verbietet?

INTRO-TOOL Zusammen mit den Architekten Kühn/Malvezzi (u.a. für infrastrukturelle Architektur der letzten documenta/Kassel verantwortlich) wird ein Kommunikations- und Informationspool um das Thema „Soziographischer Blick“ geschaffen. Dieses „Tool“ stellt eine Mixtur aus Wohnzimmer, Audioroom mit Bühne, Bibliothek, Videothek, Internet, Soundarchiv dar. Durch die Interventionen verschiedenster Protagonisten (siehe Programm) funktioniert der Kunstraum Innsbruck während der Ausstellungsdauer als „soziales Mobile“. Zusätzliche permanente Raumeingriffe durch das Architekturstudentenkollektiv „ckittipippi - Freunde des Städtebau“ (A) und das Künstlerkollektiv NLK (A) ergänzen die Ausstellung.