press release only in german

Farben entziehen sich dem bloßen Begriff. Ohne Erfahrung bleibt das Sprechen über Farbe in der Malerei blind. Farbe kann ganz unterschiedlich aufgefaßt werden, wie die Malerei von Thomas Bechinger und Jerry Zeniuk zeigt. Jeder hat über Jahre Möglichkeiten des Gebrauchs von Farbe in seiner Arbeit erkundet. Die erstmalige Begegnung beider Malerei auf einer Wand schuf eine Kommunikation von Malweisen, einen Dialog ohne Begriffe, mit den Farben selbst. Im Kunstverein Konstanz haben Thomas Bechinger und Jerry Zeniuk eine gemeinsame Wandmalerei angefertigt: Für vier Wände. Zunächst war geplant, daß jeder zwei gegenüberliegende Wände des großen Oberlichtsaals bemalt. Vor Ort entschieden sie sich dann, die Wände zu halbieren (bzw. eine zu dritteln). Gemeinsam und zur gleichen Zeit haben sie Ende April binnen einer Woche ohne ein vorher fest-gelegtes Konzept die vier Wände des Ausstellungsraums, etwa 140 Quadratmeter Wandfläche, rundum und von der Fußleiste bis zur Hängeschiene bemalt.

Wer den Ausstellungsraum betritt, sieht sich zunächst von einem Farbband umgeben, das nur an zwei Stellen von Durchgängen durchbrochen wird. Erst nach einer gewissen Zeit, beim Umhergehen in dem von Oberlicht beleuchteten Raum, aus dem alle Einbauten, die Heizkörper und Steckdosen, entfernt wurden, erschließt sich das Kunstwerk dem Betrachter. Dem ersten, flüchtigen Hinsehen mag der Raum nur bunt und unstrukturiert erscheinen. Bald lernt der Betrachter die Malweisen von Bechinger und Zeniuk zu unterscheiden, er sieht deren unterschiedliche Rhythmen und Farbigkeiten, um schließlich das Prinzip ihrer Zusammenarbeit zu verstehen. Male nicht wie ich: Malen wir zusammen!

Für vier Wände ist keine Zusammenarbeit, in der jeder der andere und keiner er selbst ist, keines jener Projekte, in denen die Dinge nicht nebeneinander sein können, ohne sich einander wechselseitig anzuähneln und zu vermischen. Gegen die allgegenwärtige Medienkunst, die Bilder in Bewegung propagiert, dabei aber noch hinter die Lehre Cézannes zurückfällt, steht hier eine Malerei, mit der das Denken in Bewegung gebracht wird. Gegen eine Operettenhaftigkeit der Kunst, in der jede individuelle Form absorbiert wird, steht hier eine Malerei, die sich der Repräsentation im Sinne eines Verweises entschlägt. Bechinger und Zeniuk halten hartnäckig am Projekt einer modernen Malerei fest. Sie wollen den Betrachter nicht an der Erfahrung des Sehens vorbeilotsen, um ihn umstandslos zum Begriff zu führen. Weder haben sie sich dem aufdringlichen didaktischen Gestus verschrieben, mit dem heutzutage so viele Bilder über die Geschichte der Malerei dozieren, noch liebäugeln sie mit irgendeiner der peinlichen Grenzüberschreitungen, bei der die Malerei mehr leisten soll, als sie kann.

Bechinger und Zeniuk wollen auf die Abstraktion nicht verzichten. Beider Malerei ist von der monochromen, kulinarischen Oberfläche ebenso weit entfernt wie vom expressiven Ausdruck, und dennoch finden sich bei ihnen expressive Züge und monochrome Zonen. Ihre Malerei zwischen Bekanntem einzuordnen, verfehlte jedoch das Neue, das hier geschaffen wird. Bechinger wie Zeniuk führen einen Materialismus in die Malerei ein. Dieser Materialismus gründet in der Teilung der Arbeit und vor allem im Malen selbst.

Für vier Wände ist in Acryldispersion ausgeführt. Bechinger bevorzugt Eisenoxidpigmente in Ockertönen, dazu kommen Blau und Rot; Zeniuk gebraucht die Grundfarben, kalte und warme Töne, sowie Schwarz. Die Bewegungen ihrer Arme, Hände und Pinsel könnten nicht unterschiedlicher sein. Zeniuk arbeitet mit kurzen, energischen Strichen, mit denen er in den Farben erstaunliche Kräfte freisetzt. Es ist nicht die Dissoziation von Form und Farbe, aus der sich Zeniuks Abstraktion herleitet. Aus dichten Strichfolgen baut er so etwas wie ein figuratives Potential der Farbe jenseits einer Duplizität von Form und Farbe auf. Seine Malerei entzieht sich der Annahme, daß die Autonomie der Farbe auf einer Ablösung von der Form gründet, und sie flüchtet nicht in eine Metaphysik der Farbe. Die alte Vorstellung, daß Farben immer auch Formen und alle Formen immer auch gefärbt sind, ist von der Malerei Zeniuks her betrachtet, irreführend: Es gibt in seiner Malerei nur farbige Kräfteverhältnisse und Kräfteverhältnisse der Farben.

Bechinger trägt seine Farben mit einem langen und konzentrierten Strich auf. Besonders an den Stellen, an denen die Farben transparent aufgetragen sind, gewinnen seine Monochromien ein Potential an Buntheit. Die Intensität, Dichte und Undurchdringlichkeit seiner Malerei resultieren weniger aus der Überlagerung von Farbschichten, sondern aus einer Durchformung der Farbe mit dem eigenen Strich. Weder löst Bechinger seinen Duktus in der Monochromie auf, noch überführt er ihn in die Kulinarik einer Oberfläche. Sein Strich gibt sich weder enthusiastisch noch beherrscht: Bechinger weiß, daß die Farbe erst mit dem Auftrag entsteht. Auch in Zonen hoher Verdichtung, mit übereinandergelagerten Strichen und intensiver Pigmentdichte vermag er daher, das Kolorit der Farben zu bannen. Die Suggestion seiner Farben resultiert nämlich nicht aus einer Hingabe an deren Psychologie (noch zehren sie gar von einem Symbolwert), sondern aus ihrer Herstellung.

In den Raumecken und Wandmitten stoßen die beiden Malweisen zum Teil recht schroff aneinander. Und dennoch sind diese Nahtstellen keine Bildgrenzen, an denen etwas zu einer Einheit geschlossen würde. Nicht die Grenze oder der Bildrand vor einem - neutralen - Hintergrund konstituiert hier Bilder zweier Maler. Vielmehr gibt es nur Malweisen und Rhythmen, die sich voneinander unterscheiden, sich ergänzen und im Blick des Betrachters durchdringen. Einer der Höhepunkte in der gemeinsamen Arbeit ist denn auch eine rote Fläche in einer Wandmitte, in der Bechinger die Kräfte Zeniuks für einen kurzen Moment aufnimmt, sie auf seine Seite hinüberzieht, das Rot mit seinem eigenen Strich durchformt und darin einen ganz anderen Effekt als Zeniuk freisetzt.

Diese Wandmalerei folgte keinem vorgefaßten Plan. Doch ihre Präzision in der Komposition erschließt sich beim Umhergehen. Vielleicht haben die beiden Maler so mit ihrer Arbeit begonnen: Einer setzte den ersten Strich, malte eine erste Farbe auf einer Wand, und der andere hat auf einer anderen Wand darauf geantwortet. Eine Verkettung von wechselseitigen Beobachtungen und lose aufeinander bezogenen Malakten, eine Folge von Eingriffen aus der Distanz hat dann diese aparallele Evolution der Malweisen von Bechinger und Zeniuk hervorgetrieben.

Die Wände des Konstanzer Kunstvereins wurden nach dem Ende der Ausstellung mit weißer Farbe übermalt.

Pressetext

only in german

Für 4 Wände - Für einen Materialismus der Malerei
Thomas Bechinger und Jerry Zeniuk