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München, April 2010. - Der postalisch anmutende Titel „Per Nachnahme“ verweist zunächst auf das ausgefallene Setting von Giselle Englers umfänglicher Arbeit: ein vor der Galerie geparkter, ausrangierter Lieferwagen der Post, in dessen weitgehend original belassenem Innenraum die vorhandenen Sortierfächer nun als Ausstellungsdisplay dienen. Gezeigt wird ein großes Konvolut von Sepien-Innenschalen, sogenannten Schulpen, wie sie als sterbliche Überreste regelmäßig an Stränden angespült werden, teilweise unbearbeitet (bzw. von Natur, Wetter und anderen Zufällen gezeichnet) und teilweise von der Künstlerin beschnitzt, reliefiert, manipuliert.

Die charakteristisch geformten Schulpe lassen sich in diesem Kontext als Trägermedien von Zeichen lesen, bei denen tendenziell offen bleibt, wer Autor ist bzw. Autoren sind, mit welcher Intention sie den Trägermedien eingeschrieben wurden (ob es überhaupt eine Intention gab seitens möglicher Autoren oder gar des Mediums selbst) und wie viele Schichten von Zeichen und Intentionen sich gegebenenfalls überlagern.

In dieser schwebenden Offenheit, die die bearbeiteten und die unbearbeiteten Stücke gleichermaßen betrifft, spricht die Arbeit – ungeachtet ihrer autonomen, formalen Qualitäten – metaphorisch auch allgemein von kulturellen Archiven, ihren Produktions- und Reproduktionsbedingungen, von der Un/Lesbarkeit toter Medien, von der Ökonomie der Zeichen und ihrer materiellen Träger und von jenem submedialen Raum des Verdachts (Boris Groys), der sich auftut, wenn hinter den Zeichen die Träger selbst aufscheinen. Dementsprechend (und in Verkehrung üblicher Marktmechanismen) bemessen sich die Preise der Quasi-Multiples zunächst zwar nach dem Gewicht des jeweiligen „Rohlings“, werden aber reduziert, je intensiver dieser bearbeitet wurde.

Die Quasi-Multiples können auch über einen Webshop, der Teil des Projekts ist, erworben werden: http://www.pernachnahme.at

Im Innenraum der Galerie zeigt Giselle Engler eine Auswahl aus ihrer in den letzten Jahren entstandenen umfangreichen Serie von Handtaschen (oder Handtaschenobjekten), die im Dickicht zwischen Mode, Design und Kunst irrlichtern. Dabei dienen sie der Trägerin weder im herkömmlichen Sinne funktionalen Nutzens, noch spielen sie das übliche Abgrenzungs/Konformitäts-Spiel der Mode, vielmehr sind sie tragbare Zeichen, die auf ihre je eigene Entstehungssituation verweisen, und gegenüber denen Trägerin wie Inhalt zweitrangig sind. Tragbarkeit und Tragfähigkeit (für möglichen Inhalt) sind im Zweifelsfall Selbstzweck und tendenziell tautologisch.

Die Zweitrangigkeit der Trägerin wird vor allem bei jenen Taschen deutlich, deren Tragen durchaus Mühe und Last bedeuten kann: in diesem Aspekt ragen die Arbeiten teilweise beinahe in den Bereich der Performancekunst. Formal atmen die Taschen – wenn man nach Bezügen zur Bildenden Kunst suchen möchte – sowohl die Strenge des Minimal wie auch den Witz (der auch ein grimmiger sein kann) des Fluxus; und lassen sich insofern auch durchaus gut als autonome, skulpturale Objekte betrachten, abseits der intendierten Tragesituation.

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Giselle Engler
per Nachnahme