press release only in german

24.06.2022 – 13.11.2022

Janina Frye. Looping

Tears, sweat, blood, and breath is floating through drains into an entangled network of loopings of thoughts, emotions, senses, tension and release generating bewildered realities. Phantoms and spirits those who transcend the material order live in this breath of thoughts, manifesting and erecting the skeletons of new physical worlds.
Janina Frye

Die künstlerische Praxis von Janina Frye gleicht der einer Forscherin, die den menschlichen Körper und die Art und Weise wie er mit seiner Umwelt verbunden ist, mit Hilfe eines konzeptuellen Ansatzes untersucht. Somit repräsentieren ihre Skulpturen und Installationen auch ein Konzept des Menschen – ein sich kontinuierlich in Transformation befindliches System, dass den Körper durch Verbindungen und Verflechtungen mit der Außenwelt verknüpft. Sie untersucht die Idee, dass die menschliche Haut keine Grenze, sondern eine Schnittstelle zur Außenwelt ist und fragt, inwiefern die moderne binäre Logik zwischen Mensch und Objekt, belebt und unbelebt, sowie zwischen Natur und Kultur im 21. Jahrhundert durcheinandergebracht wird. Darüber hinaus erforscht sie, wie sich verändernde Lebensrealitäten unterschiedliche Entfremdungsprozesse unserer Körperwahrnehmung vorantreiben und inwiefern immaterielle und imaginäre Entitäten, Fiktionen, Phantome und emergente Prozesse diese Entfremdung beeinflussen.

Oft verwendet sie ihren eigenen Körper, also psychologische und physiologische Vorgänge, als Inspiration und geht der Frage nach, wie sich Gedanken, Empfindungen und emotionale Zustände auch körperlich zeigen. Sie übersetzt ihre subjektiven Sinneseindrücke, ebenso wie deren physische Auswirkungen, in materielle Bedingungen und manifestiert auf diese Weise das Unsichtbare und das Nicht-Greifbare in ihren Arbeiten. Ausschlaggebend für diese Herangehensweise ist die Erkenntnis, dass es eben zunächst Gedanken, Ideen, Vorstellungen und Emotionen sind, die uns Menschen den Antrieb verleihen unsere Welt zu kultivieren und zu gestalten, und die somit auch bestimmen, welches Erscheinungsbild die Realität schlussendlich annimmt. Das gilt nicht nur für die Gegenstände und Objekte, die der Mensch mit seiner Vorstellungskraft erschafft und mit denen er sich umgibt, sondern auch für seine zwischenmenschlichen, kulturellen, sozialen, gesellschaftlichen, ökologischen und politischen Beziehungsgeflechte. Indem Janina Frye unterschiedliche Materialien, Werkstoffe und Gegenstände verwendet, die sie aus ihren ursprünglichen Kontexten herauslöst und miteinander kombiniert, schafft sie ein Netzwerk mit zirkulierenden Bezügen und Zusammenhängen. Der Mensch und die komplexen Systeme, in die er eingebunden ist, stehen innerhalb dieses Netzwerks immer im Zentrum.

So auch bei den drei Arbeiten Phantom Feelings 3-5 (2022), bei denen verschiedene Materialien und Techniken als System miteinander interagieren. Drei überlebensgroße, rechteckige Objekte sind gegen die Wand gelehnt. Sie sind von einer grün-grauen Latexhaut bedeckt, unter der Spuren und Abdrücke von Seilen, Schläuchen und Knochen erkennbar sind. Die aufrechten, wie abstrahierte Körper wirkenden Objekte sind an Vakuumpumpen angeschlossen, die dröhnende Geräusche von sich geben. In einem abwechselnden Intervall entziehen sie den Körpern Luft. Das Latex spannt sich und das Darunterliegende wird zu einem Relief, das an stark überspannte Haut denken lässt, unter der sich Adern und Knochen abzeichnen. Während den Körpern langsam wieder Luft zugeführt wird, entspannt sich die Haut und das Relief verschwindet zusehends. Janina Frye wendet also die Bewegung der Atmung auf nicht-lebendes Material an und hinterfragt so, was es in einer technisierten Welt eigentlich genau bedeutet, lebendig zu sein. Die Kombination der industriellen Materialien lässt ein nur scheinbar lebendes System entstehen, das Attribute des „Mensch-Seins“ aufweist. Es ist aber lediglich eine Imitation, die den Menschen gerade durch seine Abwesenheit gegenwärtig macht.

Oft verharren Janina Fryes Werke in einer Art Schwebezustand und spielen mit der Wahrnehmung der Betrachterinnen und Betrachter. So auch die zwei überlebensgroßen Figuren Volta (2022) und Remote (2022). Ihre Köper bestehen aus Seilen, die sich zeichenhaft in Linien in die Höhe ziehen. Auf den ersten Blick ist nicht nachvollziehbar, wie die Seile die Fähigkeit erhalten haben sich aufzurichten. Erst bei näherer Betrachtung wird ersichtlich, dass sie aus massivem Material, nämlich aus Aluminium bestehen und somit der Schwerkraft trotzen. Wie Fabelwesen oder Figuren, die aus einem Superhelden oder Science-Fiction Film entflohen sind, schauen Sie auf uns Betrachterinnen und Betrachter hinab und sind schlussendlich Sinnbild dafür, wie sich Fantasie und Vorstellungskraft in der Realität manifestieren.

Neben den Arbeiten, die aus alltäglichen Gegenständen entstehen, nutzt Frye auch traditionelle bildhauerische Techniken bei der Formgebung ihrer Arbeiten. Beide Skulpturen wurden mit einem Sandgussverfahren hergestellt. Ihre Körper wurden zunächst in einem intuitiven Akt mit einem Seil in den Sand „gezeichnet“ und gleichzeitig in einen Schwebezustand zwischen Zwei- und Dreidimensionalität versetzt. Erst durch das Ausgießen der Abdrücke haben sie die Grenze zur Dreidimensionalität vollständig überschritten und treten uns nun als Skulpturen im Raum entgegen.

Diese Entstehungsprozesse führt uns Janina Frye in einer Laborsituation vor Augen und macht sie für uns greifbar und nachvollziehbar. Mit Hilfe von Formsand und Seilen hat sie genau den Moment nachgebildet, in dem die künstlerische Idee und ihre eigene Intuition zum ersten Mal im Sand zur Form wurden. Wie in einer Versuchsanordnung liegen außerdem zwei weitere Aluminiumskulpturen auf Sockeln, die wie Seziertische wirken. Die Skulpturen erscheinen wie Skelette, die in ihre Einzelteile zerlegt sind. Die Gusskanäle, die benötigt wurden, um das Aluminium in die Formen zu leiten, wurden nicht entfernt. Sie lassen ein weiteres Skelett entstehen, das wiederum ein visuelles Netzwerk bildet und die einzelnen Bestandteile miteinander verbindet. Durch die Installation wird somit einerseits der Entstehungsprozess der Aluminiumskulpturen nachvollziehbar. Andererseits – und das steht eigentlich im Zentrum von Janina Fryes Interesse – machen sie den unsichtbaren Prozess sichtbar, der sich vollzieht, wenn eine künstlerische Idee zur Realität wird.

Aus den Regenrinnen im Eingangsbereich steigt Nebel empor, der die gesamte Ausstellung über die Elemente Luft und Wasser miteinander verbindet. Der Nebel verbildlicht, dass alles mit allem verbunden ist und macht ein weiteres Mal das Unsichtbare sichtbar. Wir Betrachterinnen und Betrachter werden in der Ausstellung immer wieder mit unserer eigenen Körperlichkeit konfrontiert und erhalten die Möglichkeit zu reflektieren, wie wir mit unserer Umwelt in Verbindung stehen, wie wir von ihr beeinflusst werden und wie wir sie wiederum beeinflussen. Die Einsicht, dass die zahlreichen Systeme und Netzwerke, in die der Mensch eingebunden ist, genauso wie deren Wechselwirkungen, viel zu komplex sind, um sie entschlüsseln und ihre Wirkweisen bis ins letzte Detail nachvollziehen zu können, schwingt in Fryes Arbeiten immer mit. Ebenso wie das Paradoxon, dass der Mensch mit seinem unstillbaren Drang die Welt und die Natur der Dinge zu verstehen, die Realität, in der er lebt, nur noch komplexer gemacht hat. Dementsprechend zieht sich das Seil wie ein roter Faden durch die Ausstellung bis hin zum Titel Looping, als ein Gebrauchsobjekt, das zunächst die ambivalenten Fähigkeiten besitzt, nicht nur zu verbinden, sondern auch zu begrenzen und auszugrenzen. Die Symbolik des roten Fadens legt außerdem nahe, dass auch das Seil für eine kohärente, in sich schlüssige Logik steht. Doch was passiert eigentlich, „wenn dieser Faden plötzlich ganz viele Schleifen und Knoten bekommt und man bei einer ganz anderen Logik endet?“ fragt sich Janina Frye.

Janina Frye ist 1987 in Neuwied geboren, sie lebt und arbeitet in Amsterdam. 2014 erhielt sie ihren Bachelor of Visual Art von der AKV St. Joost 's-Hertogenbosch (NL) und 2021 ihren Master of Sculpture vom Royal College of Art, London (UK). Im Jahr 2017 wurde Frye mit dem Young Talent Award des Mondriaan Fond ausgezeichnet. Im Jahr 2020 war sie Teilnehmerin am EKWC (European Ceramic Work Center) in den Niederlanden.
Ihre Arbeiten wurden in Einzel- und Gruppenausstellungen u.a. bei Arti et Amicitae, Amsterdam, First Site, Colchester, Old Operation Theatre Museum, London, Onomatopee, Eindhoven, P/////AKT, Amsterdam, im Stedelijk Museum, 's-Hertogenbosch, der Saatchi Gallery, London und der South London Gallery, London gezeigt.