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Im 13. Jahrhundert wurde Graf Ugolino Della Gherardesca als Verräter bezeichnet, zum Tode durch Verhungern verurteilt und mitsamt seinen Kindern und Enkeln in den Kerker geworfen. Jahre später beschreibt Dante in seinem berühmten Epos „Inferno“ einen Graf Ugolino, der in vieler Hinsicht als Karikatur des realen Ugolino gelten kann. In der berühmten Zeile im Canto 33: „Poscia, più che ’l dolor, poté ’l digiuno" („Dann war der Hunger stärker als die Trauer“), spielt Dante auf die Versuchung des Grafen an, die eigenen Kinder zu verspeisen. Dies inspirierte in den nächsten Jahrhunderten sowohl Schriftsteller wie Seamus Heany und Jorge Luis Borges als auch Bildhauer wie Rodin und Jean-Baptiste Carpeaux zu kannibalistischen Interpretationen.

Im Jahr 2001 behauptete eine Gruppe von Wissenschaftlern unter der Führung von Francesco Mallegni, die sterblichen Überreste des Grafen Ugolino und seiner Familie gefunden zu haben. Als sie die DNA Tests durchgeführt hatten, waren sie sicher, dass solche kannibalistischen Taten nicht stattgefunden haben konnten (vor allem weil Ugolino im hohen Alter mit sehr schlechten Zähnen, mit denen er niemals Fleisch hätte verzehren können, starb). Aber die Authentizität dieser Funde wurde auch bald von anderen Wissenschaftlern angezweifelt. Die Wahrheit bleibt also weiterhin verborgen.

2009 sind das Interesse an Dante und die Faszination des „Inferno“ ungebrochen. Gibt man „Dante´s Inferno“ bei der Suchmaschine Google ein, erhält man als erstes einen Hinweis auf die Webseite eines neuen Videospiels mit dem Slogan „Go To Hell“. Das ICI in Berlin veranstaltet dieses Jahr ein Seminar mit dem Titel „Metamorphosing Dante“, und John von Bergen wird in seiner dritten Einzelausstellung „SOOTO hungry“ in der Galerie Lena Brüning die Skulptur „Ugolino“ zeigen. 
Bei „Ugolino“ ersetzt der Künstler den menschlichen Körper durch ein Objekt, das zunächst an verbogene und auf seltsame Weise verdrehte Maschinenteile erinnert, sich bei näherem Betrachten aber als verrottete Abgüsse einer Tischsäge entpuppt. Zuerst winden sie sich in einer brutalen Verdrehung umeinander, um sich dann in eine größere abstrakte Struktur zu verwandeln. Zur Zeit Dantes wurde Italien von politischen Unruhen erschüttert, Graf Ugolino galt als Profiteur und Verräter, und man vermutete bereits damals, dass der Kannibalismus im „Inferno“ metaphorisch gemeint war. Durch die zahlreichen starken künstlerische Interpretationen dieser Geschichte im Laufe der Zeit hat die Mythologie einen so großen Einfluss auf die Rezeption des Ugolino gehabt, dass historische Fakten davon völlig verzerrt, wenn nicht gar überschrieben wurden. Das humanistische Element in von Bergens „Ugolino“ geht in die Repräsentation einer neue Fiktion über, in der die Realität nicht versucht, den Mythos zu ersetzen, sondern in der Mythos durch eine schwer greifbare Absurdität ersetzt wird.

In der Ausstellung "SOOTO hungry" wird von Bergen auch Bleistiftzeichnungen aus einer neuen Serie zeigen, die in enger Verbindung zu der Skulptur als strukturale Transformation stehen, und genau wie diese die Grenzen zwischen Repräsentation und Abstraktion verhandeln. Sie eröffnen ein doppeldeutiges Spiel zwischen dem Natürlichen und der Vorstellung durch einen Prozess, der die detaillierte Wiedergabe fotografierter Objekte und abstrakten Gestus verbindet. Wie bei der Skulptur wird ein gezeichnetes Objekt als zum Überbleibsel der Realität, und zurück bleibt die Erinnerung an eine unvollständige Form. Wie der Kunsthistoriker Ludwig Seyfarth bemerkte: "Sowohl in seinen Zeichnungen als auch in seinen Objekten und Skulpturen ist ein forschendes Interesse erkennbar, das sowohl der Auseinandersetzung mit oft ungewöhnlichen Materialien gilt als auch dem fließenden Übergang von der Abbildung des Sichtbaren zur Erfindung eigener Welten."

John von Bergen ist ein Amerikanischer Künstler, der an der School of Visual Arts in New York studiert hat und seit dem Jahr 2003 in Berlin lebt. Seither hat er in verschiedenen Museen, Galerien und auf Kunstmessen im Europäischen Raum ausgestellt, und in Düsseldorf, Dresden, Berlin und New York Vorträge gehalten. Im März 2009 wurde er vom Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst in Dresden zu einem Projekt eingeladen. Zur Zeit nimmt er an der Ausstellung "Octet" im Pera Museum in Istanbul teil. Im Januar 2010 wird von Bergen eine Einzelausstellung im Smack Mellon in Brooklyn, New York, zeigen. Für das Jahr 2009-2010 erhält er das Stipendium der Pollock-Krasner Foundation.

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John von Bergen
SOOTO hungry