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30.06.2023 – 03.09.2023

Lazar Lyutakov
1 Million Random Numbers

Kuratiert von
Annette Südbeck

Lazar Lyutakov eignet sich in seinen Werken vielfach alltägliche Produkte unserer modernen Massenkultur und einfache Industrieerzeugnisse an, um durch die Form der Präsentation ihre Bedeutungen und Ambiguitäten zu ergründen. Die Objekte werden von ihm sorgfältig ausgewählt, durch gezielte Eingriffe adaptiert und weiterentwickelt, um zeitgenössische Produktionsbedingungen und Konsumformen, Geld- und Warenströme sowie ästhetische Massenphänomene zu untersuchen und über Werte, Produktivität, Qualität und Nutzen in einer postkapitalistischen industrialisierten Welt zu reflektieren.

In seiner für die Secession neu entwickelten Installation 1 Million Random Numbers arrangiert Lyutakov über hundert verschiedene Lavalampen auf Laborrahmen und Gestellen. Durch die auf- und absteigende Bewegung der Wachsblasen und in einigen Lampen auch Glitter-Partikel geht bereits von jeder einzelnen Lampe eine hypnotisierende Anziehung und Faszination aus. Die eindrucksvollen Licht- und Farbenspiele unterliegen einer ständigen Veränderung, sie lassen die Ausstellung in jedem Moment anders aussehen und verleihen ihr etwas Ephemeres. Diesen spektakulären Charakter der Inszenierung verknüpft Lyutakov mit einer Präsentation, die er der Realität der Nutzung von Lavalampen in der Informationstechnologie entnimmt und zu einer skulpturalen Sprache weiterentwickelt. Die aus dem Laborbedarf stammenden Trägergerüste verleihen der Installation den Charakter einer wissenschaftlichen Anordnung. Sie greifen nicht nur die modulare Struktur des Ausstellungsraums mit dem charakteristischen Raster von Decke, Fußboden und Wandsystem auf, sondern setzen durch ihre technisch kühle Ausstrahlung auch einen Kontrapunkt zur schwebenden Körperlichkeit der amorphen Wachsblasen.

Der Modus einer gezielt erzeugten Widersprüchlichkeit zeigt sich außerdem im Spektrum der zusammengetragenen Lampentypen, das handgefertigte Modelle ebenso umfasst wie auf eBay zusammengetragene Einzelstücke und chinesische Massenware. Die ästhetischen Referenzen und historischen und politischen Narrative, die mit der Vielfalt dieser Mischung und der Kombination von Lampen und Gestellen korrelieren, reichen von der Gegenkultur der 1960er Jahre über die New Age-Spiritualität bis zur technischen Utopie des Silicon Valley und dem damit verbundenen digitalen Kapitalismus.

1963 erfunden und von der Firma Crestworth Ltd. zunächst unter dem Namen Astro Lamp vermarktet, entwickelte sich die Lavalampe rasch zu einem populären Einrichtungs- und Dekorationsgegenstand. Ihr Kultstatus gründet nicht zuletzt in dem euphorischen und hedonistischen Freiheitsversprechen, dass mit den psychedelischen Formen assoziiert wird. Die Lampe ist ein Inbegriff des unermesslichen Unbekannten – der Ausdehnung des Weltalls ebenso wie des geheimnisvollen menschlichen Inneren.

Ein weiterer Ausgangspunkt für Lyutakovs Wahl der Lavalampe als zentrales Element seiner Installation war, dass sie seit Mitte der 1990er Jahre als Zufallsgenerator in der Internetverschlüsselung eingesetzt wird. Die Arbeit Wall of Entropy hat er einer ähnlichen Wand der Firma Cloudflare nachempfunden, die damit 10 Prozent des globalen Internetverkehrs sichert. Die Licht- und Farbmuster werden in regelmäßigen Intervallen fotografiert und dienen so als Quelle für das Unvorhersehbare, Chaotische und Zufällige, das für die Umsetzung digitaler Verschlüsselungsprozesse unerlässlich ist. Die Bedeutungsgeschichte der Lavalampe verkörpert somit nicht nur die Ideen und Werte der Gegenkultur, sondern immer auch die Weiterentwicklung des Technikutopismus durch IT-Unternehmen sowie die damit einhergehende ökonomische Vereinnahmung.

Das Spannungsverhältnis, das aus der Konfrontation all dieser Bedeutungsebenen resultiert, wird von Lyutakov keineswegs aufgelöst, sondern vielmehr präzise artikuliert und systematisch in der Schwebe gehalten. Dazu Stephen Zepke in seinem Essay zur Ausstellung:

„Man kann Lyutakovs 1 Million Random Numbers als pointierte Zusammenfassung dieser ziemlich pessimistischen historischen und politischen Narrative lesen. Trotzdem wirkt die Ausstellung nicht wie ein Lamento, denn dazu macht sie einfach zu viel Spaß. Auch wenn es sich dabei nur um das hohle Vergnügen heutigen Konsums handeln mag, erkenne ich darin die Feier einer chaotischen, rebellischen Energie, die keine Gegenkultur mehr hervorbringt, sich aber auch nicht mehr vollständig vereinnahmen oder kommodifizieren lässt.“