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Bildwerdung des Essentiellen

„Die Möglichkeit, etwas zu vereinfachen bedeutet, das Unwesentliche wegzulassen, damit das Wesentliche zum Ausdruck kommt.“ (Hans Hofmann)

Immaterielle Gebilde, flüchtig und gleichsam schwebend – das Unbestimmte, Ungreifbare ist es, das Olga Czewska in ihren Fotografien wie auch in ihren Malereien festzuhalten sucht. So zeigen ihre Fotos Schatten; ihrem Wesen nach unscharfe Formen, reduziert auf Hell und Dunkel. Geheimnisvoll oszillierende Zeichen erhalten Gestalt im Geviert der Bilder, sie geben kaum mehr eindeutige Verweise auf die sichtbare Welt. Unbestimmt, ja rätselhaft bleibt der Raum - er entzieht sich der genauen Beschreibung. Auch ihre gewählten Bildtitel ermöglichen weniger konkreten als vielmehr poetisch vieldeutigen, assoziativen Zugang: „Montagna stabile“, Im Totenbuch“, Della Vita“, flattern“ …

Galten Schatten in der Darstellung über viele Jahrhunderte als Elemente der klaren Verortung von Objekten im Raum, so hebt Olga Czewska diese Wahrnehmungstradition grundsätzlich auf. Die Schatten bestätigen nicht mehr die Anwesenheit von festen Körpern, sondern erhalten nun in ihrer selbständigen Gestalt eigene Präsenz im fotografischen Abbild.

Auch zeigen Olga Czewskas Malereien ungegenständliche, gleichwohl einfache Formen. In klarer Kontur gegen einen leeren Hintergrund gesetzt, weisen sie in sich Strukturen und Chiffren auf, die geheimnisvoll und rätselhaft bleiben. Formen interagieren mit der leeren Fläche, ihre Gestalt scheint sich aus dem Nichts heraus entwickelt zu haben. In ihrer elementaren Einfachheit verweisen sie auf japanische Bildvorstellungen, denen zufolge ein Werk erst in seiner maximalen Reduktion Gültigkeit hat.
Gleichermaßen scheint es, als erhielten prähistorische Zeichen neue Gegenwart, als teile sich universelles menschliches Wissen auf diese Weise mit. Dabei entzieht sich das Gesehene konsequent der Versprachlichung - Olga Czewskas Bildwerke bewegen sich außerhalb der begrifflich fassbaren Welt.
Dies gibt auch Hinweis auf ihr stetes Interesse an Musik – als Begleiterin im Schaffensprozess wie auch im Zitat im Bild; ist doch insbesondere die Musik eine Kunstform jenseits der Sprache.

Das Gesehene in seinem vieldeutigen, kulturübergreifenden Gehalt verbindet sich mit der Imaginationsbereitschaft, mit den Empfindungswelten der Betrachter. Die Werke werden im Akt der Betrachtung zum lebendigen Gegenüber - vermittels der lapidaren, einfachen Formen werden allgemeingültige Zusammenhänge erfahrbar: Sie verweisen auf das Ineinander von Vergangenem und Gegenwärtigem, sie künden von der gemeinsamen Wurzel aller kulturellen Äußerungen der Menschheit. Alles scheint mit allem untrennbar verbunden, verwoben.

In diesem raum- und zeitlosen Kontinuum sind schließlich auch die konventionellen Methoden der Bilderzählung bedeutungslos geworden.

Olga Czewskas Arbeiten liefern keine Geschichten und Informationen mehr – es sind Gegenbilder zu denjenigen, die Realität eindeutig festlegen möchten. Dies gilt in besonders spannungsvoller Weise für die Fotografie, deren Objektivitätsanspruch das Medium seit jeher definie hat hier wird ihr neue, gänzlich veränderte Funktion zuerkannt. eines kommentierenden und wertenden Zusammenhangs entsteht ein nunmehr in veränderter Weise zu deutender Bildraum. Tatsächlich vermag der Kunstgriff der Reduktion wie der der Unschärfe dem Bildgedächtnis etwas hinzuzufügen, Die sich der Objektivierbarkeit, der realitätsorientierten Wahrnehmung produktiv entziehenden Werke vermögen es, vorgewußte, mythisch geprägte Vorstellungsräume zu beschwören; sie beziehen sich auf elementare, überzeitliche und überindividuelle Erfahrungswelten.

Olga Czewskas Bilder fragen nach dem Wesentlichen menschlicher Erkenntnis. Diese Werke ermöglichen es uns, hinter die Dinge zu sehen und zum Essentiellen vorzudringen. Sie sind in dem Sinn spirituell, als sie in ihrer Loslösung vom Dinglichen eine geistige Verbindung zum Transzendenten, zum Unendlichen schaffen.
Und schließlich: Indem die Künstlerin dem Ungreifbaren bildliche Form verleiht, reflektiert sie gleichermaßen die Möglichkeiten ihrer Medien – die der Fotografie ebenso wie die der Malerei, der Skulptur und der Zeichnung. Das Gestaltlose erhält dinghafte Anwesenheit nur mit den Mitteln der Kunst.
Hier beginnt es in seiner Verbindung mit dem Betrachter zu leben - und neue Erfahrungs- und Erkenntnisräume können erschlossen werden.

Dr. Gabriele Himmelmann