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Die Sehnsucht nach einer Universalsprache ist seit Beginn der Moderne ein zentrales Thema der Kunst: Der Zerfall vertrauter Bildwelten – von Giorgio de Chirico poetisch als »Einsamkeit der Zeichen« benannt – und die Störung traditioneller Verweissysteme provozierte den Wunsch nach einer neuen Form der Verständigung zwischen Künstlern und Betrachtern. Die Stuttgarter Sonderausstellung zeichnet erstmals die Vorgeschichte des Piktogramms vor dem Hintergrund der Chiffrenbildung in der Kunst der Moderne nach.

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts leisteten Künstler der Avantgarde einen wichtigen Beitrag, die als tot und starr begriffenen Zeichensysteme wiederzubeleben: Für Andrej Belyj waren unsere Zungenbewegungen »Gesten einer armlosen Tänzerin« und entwickelte aus der gesprochenen Sprache komplexe Zeichen, so genannte Graphismen. Wassily Kandinsky formulierte 1904, er wolle mit der Kunst eine Sprache schaffen, die wirksamer sei als Esperanto. Die schwedische Theosophin Hilma af Klint gestaltete einen Kosmos beeindruckender abstrakter Formen, die nur für »Eingeweihte« verständlich sind. El Lissitzky und Alexander Rodtschenko entwickelten aus der menschlichen Figur Piktogramme, die im Dienste einer neuen Gesellschaft für Arbeiter und Kinder gleichermaßen entzifferbar sein sollten.

In den zwanziger Jahren setzten Gerd Arntz und Otto Neurath das Piktogramm auch zur Veranschaulichung abstrakter Zusammenhänge ein, wie etwa zur Visualisierung von Bevölkerungsstatistiken. Die Bereiche der angewandten und der freien Kunst sind dabei oft untrennbar miteinander verbunden.

Vielfach knüpft die Ausstellung an Positionen der Sammlung des Kunstmuseum Stuttgart an: So kann man bei Willi Baumeisters Sportbildern erstaunliche Analogien zu Otl Aichers Piktogrammstudien entdecken.

Die Wiederkehr der Zeichen veranschaulicht die Ausstellung am Beispiel des Dürer-Hasen und der Swastika bzw. des Hakenkreuzes. Sigmar Polke eröffnet 1970 mit seinem Zitat von Albrecht Dürers berühmtem Aquarell aus dem Jahr 1502 ein unendliches Verweisspiel innerhalb der Kunst. Welchem drastischen Bedeutungswandel aber ein Zeichen unterliegen kann, zeigt der Zugriff der Nationalsozialisten auf die Swastika, einem alten religiös-rituellen Sonnen- und Glückssymbol früher Hochkulturen.

In der Gegenwartskunst ist die Auseinandersetzung mit dem piktogrammatischen Zeichen bei Künstlern wie Lars Arrhenius, Nic Hess, Marc Bijl, Claude Closky und Fiona Rae zu einem Thema von größter Aktualität geworden. Ein Höhepunkt der Präsentation ist das Projekt »A Single Script« des international viel beachteten chinesischen Künstlers Xu Bing.

Mit rund 350 Exponaten aus dem In- und Ausland erwartet den Besucher in Stuttgart ein spannendes Gefüge verschiedenster Zeichen, in dem sich jenseits der augenscheinlichen Analogien überraschende Lesarten ergeben.

Die Ausstellung wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.

Der Katalog zur Ausstellung erscheint Anfang November im Deutschen Kunstverlag unter dem Titel » Piktogramme – Die Einsamkeit der Zeichen «, Hrsg. Kunstmuseum Stuttgart, deutsch/englisch, 400 Seiten und 250 Abbildungen

Kunstmuseum Stuttgart zu Gast am Flughafen Stuttgart

Parallel zur Ausstellung »Piktogramme - Die Einsamkeit der Zeichen« gastiert das Kunstmuseum erstmals am Flughafen Stuttgart mit großformatigen Piktogramm-Flaggen von Matt Mullican. An diesem einzigartigen Ausstellungsort, der naturgemäß überall weg- und handlungsweisende Piktogramme einsetzt, wird die Frage der Stuttgarter Sonderschau umso eindringlicher vor Augen geführt: Was passiert, wenn das auf schnelle und eindeutige Lesbarkeit angelegte Piktogramm in die Kunst überführt wird?

Die Eröffnung dieses Kooperationsprojektes zwischen Flughafen und Kunstmuseum Stuttgart findet am Freitag, den 26. Oktober, um 11 Uhr statt.

Pressetext

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Piktogramme – Die Einsamkeit der Zeichen
Kuratorin: Marion Ackermann

mit Lars Arrhenius, Marc Bijl, Claude Closky, Nic Hess, El Lissitzky, Fiona Rae, Dieter Roth, Rosemarie Trockel, Xu Bing ...