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"Calcutta is a demand. The nigger of all cities. If Calcutta didn't exist, the North (by Northwest) in Los Angeles, New York, or London would have to invent it" (aus dem Film Tales from Planet Kolkata).

Ruchir Joshi, geboren 1960 in Kalkutta, war zuerst Filmemacher, bevor er 2001 seinen ersten Roman The Last Jet Engine Laugh vorlegte, mit welchem er im englischsprachigen Raum bekannt wurde. Wie die im Jahre 2030 angesiedelte Geschichte seines Erstlingsromans spielen auch seine Filme zwischen den Kulturen: Die Haltung des Westens zur ehemaligen Kolonie Indien und insbesondere die Schwierigkeit des Westens, die indische Kultur zu verstehen, stehen im Zentrum von Joshis Arbeiten.

Seine Geburtsstadt Kalkutta, der "schlimmste Ort auf der Welt", hierzulande der Inbegriff von Armut und Misere in den ehemaligen Kolonien, hat Joshi wiederholt thematisiert: Im Essayfilm Tales from Planet Kolkata von 1993 spürt er der Konstruktion Kalkuttas durch die westlichen Medien nach, indem er die medial wirksamen Bilder (beispielsweise im Film City of Joy von Roland Joffé von 1992) mit ironischen und anklägerischen Kommentaren hinterfragt und ihnen eigene Bilder entgegensetzt, die ein anderes Verhältnis zur urbanen Identität Kalkuttas ausdrücken. Auch der 2001 veröffentlichte Roman The Last Jet Engine Laugh ist in Kalkutta angesiedelt, wo der 70-jährige Fotograf Paresh Bhatt auf sein langes Leben zurückblickt. Viele Jahre lebte er in Europa, das er schliesslich aus Protest verliess, weil die Einwanderungsgesetze der Europäischen Union immer weiter verschärft worden waren. Seine Tochter Para aber ist zur Hälfte Deutsche und so sieht sich der alternde Fotograf neben den Schauplätzen seiner Erinnerungen auch in ihr immer wieder an die Unterschiedlichkeit der Kulturen erinnert. In neueren Filmen widmet sich Joshi expliziter dem Thema der indischen Stadt. A Mercedes for Ashish (2005) porträtiert die neue Urbanität Neu Delhis, das sich so schnell entwickelt, dass selbst die Veränderungen kaum mehr fassbar sind. Die Zerstörung älterer Quartiere Neu Delhis durch die Bagger der neuen Ökonomien wird im kurzen Installation-Video Gurgaon Giraffe von 2006 für die Kamera zu einer bedrohlichen Choreografie.

Ruchir Joshis Werk sowohl im Film als auch in der Literatur ist geprägt durch Sprachspiele. Während er schreibend aus den verschiedensten regionalen indischen Sprachen mit aberwitzigem Tempo eine englische Umgangssprache entwickelt, die so nur in Indien entstehen kann, spiegelt gerade der Kommentar von Tales from Planet Kolkata denselben brillanten Umgang mit der Filmsprache wider. Auch in diesem filmischen Essay wechselt die Kommentarstimme mitunter mitten im Satz von Englisch nach Gujarati (und umgekehrt), doch Joshi lässt auch die Grenzen der filmischen Genres (also verschiedenen "Dialekten" der Filmsprache) verwischen, wenn er beispielsweise virtuos von einer inszenierten Traumsequenz zu einem fiktiven Brief an einen verstorbenen Freund und zum Bild der eigenen Archiv-Recherchearbeit vor dem Videogerät hin und her wechselt.

Dies wird bereits im 1990 entstandenen Film Eleven Miles deutlich, in welchem Joshi die Tradition der Baul im ostindischen Bengalen porträtiert. Diese wandernden Musiker überliefern eine tausend jährige musikalische und philosophische Tradition, lassen sich jedoch von zeitgenössischer Musik auch des westlichen Kulturkreises beeinflussen. Die modernen Bauls hören Jazz und singen Parabeln von elektrischer Spannung, die das Licht des Lebens aufrecht hält auf der Suche nach dem richtigen Guru. Joshi beginnt seine Reise zu und mit den Bauls als Reise auf der Suche nach seinem noch nicht gedrehten Film. Immer wieder kommt er auf die Arbeit als Filmemacher zu sprechen, der sich auf der Suche nach etwas befindet, das keine eindeutige Gestalt hat: "ein Film ist wie ein Raum, der gleichzeitig in verschiedene Richtungen wegbewegt".

Wie das Bild des sich bewegenden Raums lässt sich Joshis künstlerische Arbeit nicht einfach einordnen. Als Inder, der sowohl in Kalkutta als auch in Neu Delhi und London lebt, steht er zwischen den Kulturen seiner Heimat und der ehemaligen Kolonialmacht Englands; als Filmemacher und Schriftsteller zwischen den Künsten und als Film-Essayist zwischen den Genres im Kino.

Ruchir Joshi ist ein vielseitiger Künstler, der durch seine Arbeit mit Witz und Klugheit zwischen den Kulturen vermittelt. Seine Arbeiten sind an vielen Filmfestivals ausgezeichnet (u.a. den Prix Joris Ivens des Cinema du Reel in Paris für Eleven Miles und den Hauptpreis der renommierten Kurzfilmtage Oberhausen für Memories of Milk City) und in England und Indien auf verschiedenen TV-Kanälen gezeigt worden.

Fred Truniger

Programminformationen:

Programm I Memories of Milk City, IND/GB 1991, 16mm, Farbe, Ton, 13 Min. (GUJARATI/E, keine Untertitel) Kamera: Ranjan Palit, Ton: Suresh Rajamani, Schnitt: Reena Mohan Tales from Planet Kolkata, IND/GB 1993, 16mm (wird als DVD gezeigt), Farbe, Ton, 38 Min. (BENGALI/E, englische Untertitel) Kamera: Ranjan Palit, Ton: Suresh Rajamani, Schnitt: Reena Mohan A Mercedes for Ashish, IND/GB 2005, Video (DVD), Ton, Farbe, 30 Min. (HINDI/E, englische Untertitel) Kamera: Ranjan Palit, Ton: Ashish Mahajan, Schnitt: Sanjiv Shah

Programm II Eleven Miles, IND/GB 1990, 150 Min. (BENGALI/E, english Subtitles), DVD, Camera: Ranjan Palit, Sound and Editing: Mahadeb Shi

Die Einladung von Ruchir Joshi wird durch Pro Helvetia New Delhi im Rahmen der Feiern zum 60 jährigen Jubiläum der Indisch-Schweizerischen Freundschaft unterstützt.

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Ruchir Joshi zu Gast:
Zwischen Tradition und Exotik: Indiens (musikalisches) Erbe und das westliche Bedürfnis nach Fremdheit