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Hans Jürgen Syberberg zählt bis heute zu den umstrittensten deutschen (Film-) Künstlern. Von der deutschen Filmkritik lange Zeit abgelehnt, fand sein Werk schon Ende der 70er Jahre so namhafte Fürsprecher wie die amerikanische Kunsttheoretikerin und Schriftstellerin Susan Sontag, die französischen Philosophen Michel Foucault und Gilles Deleuzes oder den amerikanischen Filmregisseur Francis Ford Coppola. Seine Filmographie umfasst mehr als 20 Werke, dennoch ist ins besonders sein Spätwerk einem jüngeren Publikum weitgehend nicht bekannt. Die Frage, warum eine Kunsthalle sich dem Werk eines Filmemachers widmet, ist längst obsolet – und im Falle von Hans-Jürgen Syberberg, unbegründet. Mit seinem Hang zum „grenzüberschreitenden Kunstwerk“ läßt er die Grenzen zwischen den Kunstgattungen hinter sich, und entwirft Wahrnehmungsräume, die sich sowohl formaler Kategorisierung als auch klassischer Narration verweigern. Zeit und Raum werden aufgehoben und der Betrachter mit einem schillernden Kaleidoskop aus assoziativen Bruchstücken der „abendländischen Kulturgeschichte“ konfrontiert. Allein die Installationen für die documenta 7 (1982) und die documenta X (1997) sowie die umfangreiche Retrospektive im Centre Pompidou (2003) zeigen, wie sehr Syberbergs Definition von Film als Installation, seine Bildsprache und -auffassung nicht nur für Film und Theater, sondern auch für die zeitgenössische Kunst eine bedeutende Reflexionsebene darstellt.

Syberbergs Themen von der Spätromantik über das Universum Richard Wagners zur Zäsur des Dritten Reiches, haben längst auch das Interesse einer jungen Kunstgeneration von Jonathan Meese bis Christoph Schlingensief gefunden. Die gelungene gegenseitige Befruchtung von Film, Theater und zeitgenössischer Kunst lässt nicht nur an Schlingensief, sondern auch an James Colemans eindrucksvoller Filminstallation „Retake of Evidence“ auf der documenta 12 denken.

Die Ausstellung in der Kunsthalle Wien konzentriert sich, neben der umfangreichen Präsentation der Filme, auf das Spätwerk des Künstlers. Dabei bilden das überragende Schauspiel und die Wandlungsfähigkeit von Edith Clever in zwei Filmen – Die Nacht (1984) und Ein Traum, was sonst? (1994) – das Zentrum für Syberbergs filmische Installation. „Die Nacht“ und „Ein Traum“ zeigen auf, wie sehr Syberbergs Werke „verfilmte Performances“ sind, wie Boris Groys in seinem Katalogbeitrag belegt: Eine Synthese von Raum, Mensch, Text und Bild, die innerhalb einer künstlerischen Installation stattfindet. Was weder Theater noch Kino erfüllen, gelingt im musealen Kontext: Der Raum wird zu einem begehbaren Film, in dem der Betrachter den Monolog der Edith Clever als Gespräch mit sich selbst erlebt.

„Das Gesamtkunstwerk, das ich früher anstrebte“, so Syberberg, „wurde nun [mit Edith Clever] zum Welt-Theater in einem Menschen, [...] wo für mich Film und Theater zusammenkommen. Auf der Bühne der Film und im Film das Theater.“ Hans Jürgen Syberberg und Edith Clever verbindet eine zwölfjährige Zusammenarbeit, die 1982 mit der filmischen Interpretation von Wagners Parisfal begann. Richard Wagner war lange Zeit der Brennpunkt für eine intensive Auseinandersetzung, die in Ludwig und Hitler, dem Dokumentarfilm über Winifried Wagner und zuletzt in dem Monolog Die Nacht ihren Ausdruck fand.

Die Nacht - ein gigantischer dramatischer Monolog - wie Wagners Ring in vier Teilen angelegt, wird nach ersten Aufführungen im Theâtre des Amandiers in Paris im Herbst 1984, als Film produziert. Sechs Stunden verkörpert Edith Clever Gedichte, Prosatexte, Briefe, Reden und dramatische Partien, die Trauer und Abschied, Untergang und Todesnähe beschwören. Die Montage der poetischen Stoffe reicht von Goethe und Kleist, Platon und Hölderlin, Novalis, Jean-Paul, bis zur Rede des Indianerhäuptlings Seattle und Hans-Jürgen Syberbergs Texten.

Die Nacht und der zehn Jahre später entstandene Monolog Ein Traum, was sonst? sind vor allem durch eindeutige biografische Referenzen und Erinnerungsbilder gekennzeichnet. Sind es die Geschichten seiner Kindheit in Nossendorf, die den vierten Teil der Nacht dominieren, beschreibt Ein Traum, was sonst? „eine Endzeitbilanz", die mit der Flucht nach 1945 begann und bis zur vorgefundenen Situation nach dem Fall der Mauer 1989 reicht.

Hans Jürgen Syberberg wurde 1935 in Nossendorf/Pommern geboren – seit 2002 lebt er wieder an jenem Ort, den er 1947 nach dem Krieg verlassen musste. Ein Blick auf sein Online Tagebuch – das seit 2001 jeden Tag in Wort und Bild beschreibt – zeigt, dass Syberbergs Filme, wie biografische Einschreibungen, schrittweise seinen Weg nachzeichnen und heute unverzichtbares Anschauungs- und Vergleichsmaterial für das Gesamtwerk "Nossendorf" darstellen. Hier entsteht in täglicher Arbeit der Film nach dem Film. Susan Sontag bemerkte in ihrem Essay über Syberberg: „Eben geht der Film zu Ende – aber Syberberg will noch schnell ein weiteres hinreißendes Bild fabrizieren. Und selbst wenn der Film dann wirklich zu Ende ist, hat er uns noch immer etwas zu sagen und hängt Postskripte an“.

Die Ausstellung Syberberg / Clever. Die Nacht. Ein Monolog wurde gemeinsam mit Hans Jürgen Syberberg konzipiert und findet in Kooperation mit der Ursula Blickle Stiftung statt.

In Wien wird Syberberg die Installation der Clever-Monologe – Die Nacht und Ein Traum, was sonst? – durch bisher kaum gezeigte filmische Fragmente über Einar Schleef und Oskar Werner erweitern. Neben der Retrospektive aller Filme wird der Künstler die Ausstellung täglich über seine Homepage kommentieren.

Die Ursula Blickle Stiftung hingegen, fokusiert in einer Projektions-Installation von vier Filmen auf den Wagnerschwerpunkt in Hans Jürgen Syberbergs Werk (zu sehen von 17. Februar bis 30. März 2008).

Künstlerbuch zur Ausstellung: Syberberg. Film nach dem Film. Hg: Hans Jürgen Syberberg, Ursula Blickle Stiftung, Ursula Blickle / Kunsthalle Wien, Gerald Matt mit Texten von: Gerald Matt, Ilse Lafer, Hans Jürgen Syberberg, Hiroshi Arai, Rochelle Fack, Boris Groys, Solveig Olsen. Deutsch, 336 S., ca. 260 Abbs.; Verlag für moderne Kunst Nürnberg, ISBN: 978-3-940748-12-6

Kurator: Gerald Matt Kuratorische Assistenz: Ilse Lafer

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Syberberg / Clever
Die Nacht. Ein Monolog
(Hans Jürgen Syberberg)
Ort: KUNSTHALLE wien, halle 1
Kuratoren: Gerald Matt, Ilse Lafer

Kooperation: Kunsthalle Wien / Ursula Blickle Stiftung, Kraichtal
19.02.08 - 30.03.08 Kunsthalle Wien / Syberberg/Clever. Die Nacht. Ein Monolog
17.02.08 - 30.03.08 Ursula Blickle Stiftung / Syberberg. Aus der Wagnerbox