Filipp Rosbach, Leipzig

Spinnereistraße 7, Halle 20, Eingang D
04179 Leipzig

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artist / participant

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Eröffnung: Samstag, 19. Januar 2008, 11—21 Uhr

Katastrophenschutz. Thomas Steinert hat das Lebensgefühl in der DDR während der letzten beiden Jahrzehnte in Bilder gebannt. Seine dokumentarischen Fotografien sind noch zu entdecken. So hielt die Pseudodekadenz in der Nackttanzbar „Haus Connewitz“ fest, auf die westliche Messebesucher scharf waren. Und er hatte einen Blick für Gebrauchsikonen, in denen sich die Gesellschaft spiegelte. In den Stahlrohrgestängen der Kinderspielplätze fand er die Hässlichkeit des realsozialistischen Alltags, in den Straßenlampen, die durch Neo Rauchs Gemälde irrlichtern, seine fehlgeschlagene Hoffnung. „Ihr futuristisches Design war einmal Inbegriff einer kommunistischen Zukunft, die so stromlinienförmig und glänzend sein sollte wie diese Lampen“, sagt Steinert.

Aber Steinerts Bilder sind weit mehr als dokumentarische Aufnahmen. Er ist auch kein Milieufotograf, der Lebenswelten breit wälzt, um knietief darin zu versinken. Die Männer und Frauen, die vor einem Rechenzentrum auf die Straßenbahn warten, zeigt er in ballettartiger Grazie als städtisches Tableau eines existentiellen Wartens à la Samuel Beckett. Das Mädchen, das im kurzen Rock auf einem Motorrad liegt und vor einem Jungen eine Hohner-Klarinette spielt, ist eine ewige Lolita, die alle Umstände von sich abstreift. Subtil, fast beiläufig hält Steinert fest, wie Ansprüche, Überzeugungen, Erklärungen sich verschieben, brüchig werden, die Realität nicht mehr berühren. Neben einer sowjetischen Kaserne in Eberswalde hat er 1985 Breker-Statuen fotografiert, die die Soldaten der Roten Armee mit Goldbronze gestrichen, vor ein Transparent mit olympischen Ringen gestellt und mit Piktogrammen von Otl Aicher umgeben haben. Der Nazi-Bildhauer, der Schwager der von den Nazis ermordeten Sophie Scholl und die kommunist-ischen Kriegsgegner sind für eine Sportfeier auf einem Fussballplatz in der Provinz zu einer Collage gefügt, die Deutschlands schmerzhafte Geschichte im 20. Jahrhundert versinnbildlicht.

Als alle spürten, dass die Gesellschaft sich auflöste, aber noch niemand dafür Begriffe fand, sah er in kleinen Gesten den Ansatz zu großen Veränderungen. Wer etwas über die Atmosphäre der letzten beiden Jahrzehnte der DDR erfahren will, wer die Gemengelage aus Bildern und Gefühlen, Sehnsüchten und Frustrationen kennenlernen will, denen die Menschen ausgesetzt waren, muss diese Bilder anschauen. Da hat sich einer so weit an den Rand gebracht, bis er Situationen, Zeichen, Stimmungen in den Blick bekommen konnte, die die anderen nicht sehen wollten. —Gerhard Mack [Textauszug aus dem Künstlerporträt im art–Kunstmagazin 2/2008]

Steinerts 30 Selbstporträts aus 30 Jahren zeigen die Metamorphose eines 20jährigen DDR-Bürgers zum 50jährigen BRD-Bürger, der sich auf hohem Niveau in Sarkasmus verliert und dabei aber zielsicher die Paradoxien der jeweiligen Gesellschaft diesseits und jenseits des deutschen Jäger-zaunes aufzeigt. Das Leben ist schön und unerträglich und manchmal ist es lustig.

Thomas Steinert [*1949 geboren in Burgstädt, Sachsen] lebt und arbeitet in Leipzig, 1972–1977 Hochschule für Grafik und Buchkunst, Diplom Fotografie.

Publikation: Thomas Steinert »Connewitzer Welttheater – Fotografien von 1964–1994« Lehmstedt Verlag, Leipzig 2006. 128 Seiten, 117 ganzseitige Abbildungen; ISBN 3-937146-34-2

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Thomas Steinert Fotografien
Wie man wird, was man ist
30 Selbstporträts von 1969 bis 1999