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Animismus ist ein mehrteiliges Ausstellungsprojekt, das die gegenwärtig auf breiter Ebene stattfindende Neubewertung der Moderne im Sinne von Bruno Latours grundlegendem Titel „Wir sind nie modern gewesen“ aufgreift. Das Projekt wirft Fragen nach den Grenzen von Objekten und Subjekten, von Natur und Kultur, von Psyche und materieller Welt anhand ästhetischer Symptome auf. Der Begriff „Animismus“ wird zum Ausgangspunkt einer Untersuchung jener Grenzen – nicht zuletzt weil diese durch die globalen und technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in Bewegung geraten sind und auf dem Prüfstand stehen.

Eine zentrale Aufgabe des Hauses der Kulturen der Welt war es von Beginn an, das Beziehungsgeflecht des „Westens“ resp. Europas zu den nicht-europäischen Kulturen neu zu definieren. Die Ausstellung Animismus lotet in diesem Sinne den aus der Ethnologie des 19. Jahrhunderts stammenden Animismus-Begriff neu aus. Während der Begriff ursprünglich exemplarisch für das vor-moderne Andere stand, für eine Weltsicht, die den Kosmos, die Natur oder die Dinge als belebt und beseelt wahrnimmt, wird er hier zu einem Spiegel, anhand dessen die Moderne und ihre Grenzziehungen selbst untersucht werden können.

In mehrere Kapitel gegliedert entwickelt der Kurator Anselm Franke für die Berliner Ausstellung ein Modell für ein noch zu schaffendes Museum. Die Ausstellungsarchitektur unterstreicht den Modellcharakter. Historische und zeitgenössische Kunstwerke werden darin nicht illustrierend, sondern als dramaturgische Elemente eingesetzt, die die Erzählung rhythmisieren, die Handlung vorantreiben. Dieser Prozess ist ergebnisoffen, das Ziel imaginär, der Status der Objekte und Artefakte aus Textausschnitten, Kartografien, Fotografien, Filmen und Filmausschnitten sowie Archivmaterial und Reproduktionen prekär und bewusst „provisorisch“.

Dazu Kurator Anselm Franke: „Die Ausstellung nimmt ihren Ausgangspunkt bei den künstlerisch-ästhetischen Verfahren der Animation, die vor allem aus dem Trickfilm bekannt sind, und untersucht deren Zusammenhang mit den kategorialen Grenzziehungen des modernen Weltbilds. Die Animation nämlich verdankt ihre Attraktivität der Überschreitung von Grenzen: Die Trennung von Leben und Nicht-Leben, Stasis und Bewegung, Menschlichem und Tierischem, Realität und Imagination etwa werden durch sie systematisch de-stabilisiert.“

Mit Arbeiten von rund 30 internationalen Künstlern sowie einer Materialsammlung aus der Technik-, Kultur- und Naturwissenschaftsgeschichte entsteht im Haus der Kulturen der Welt ein selbstreflexives „anthropologisches Museum der Moderne“.

Jimmie Durham entwickelt eigens für dieses Kapitel der Ausstellung ein „Museum der Steine“, dessen Lesbarkeit sich gleichberechtigt aus dem Formalen wie dem belebten, immanenten Objekt ergibt. Diesem „lebenden Museum“ entgegengesetzt verweisen die Fotografien von Candida Höfer – Ansichten aus ethnografischen Sammlungen – auf die Tradition des Konservierens und der Ordnung des Wissens. Diese Themen wurden in den vorangegangenen Kapiteln des Animismus-Projektes in Antwerpen, Bern und Wien ebenfalls kritisch hinterfragt.

Der aus tausenden Einzelzeichnungen bestehende, 1929 entstandene Animationsfilm „Tusalava“ von Len Lye ist von der Kunst der australischen Aborigines beeinflusst und kann als primitivistisches Werk gelten. In der Ausstellung befindet er sich in unmittelbarer Nähe zu Walt Disneys „The Skeleton Dance“, ebenfalls aus dem Jahr 1929, einemFilm, der auf exemplarische Weise die Gesetze der Vorstellungswelt des Animationsfilms zum Ausdruck bringt. In Daria Martins 16mm Film „Soft Materials“ aus dem Jahre 2004 interagieren speziell ausgebildete Tänzer mit Robotern in einem Labor für verkörperte Künstliche Intelligenz. Ambivalent ist die Rollenverteilung in Marcel Broodthaers’ Collage „Les Caricatures-Grandville“ von 1968. In der 80-teiligen Dia-Collage, unter anderem mit Karikaturen von Honoré Daumier, sind Tiere menschlich oder agieren wie Menschen.

Aus der Historie direkt in die Aktualität führt die Comicserie von Roee Rosen und Maxim Komar-Myshkin (eigentlich Efim Poplavsky). Darin wird die phantastische Geschichte eines „Vladimir“ erzählt, der einmal als kleines Kind, dann wieder als erwachsener Politiker, von Geistern in seinem Schrank und auf seiner Tapete bedroht wird und schließlich, von allerlei Abfall bedrängt, in seinem Bett gefangen ist. Im Blick auf die jüngsten Proteste in Russland ist dahinter unschwer Wladimir Putin zu erkennen. Poplavsky, der 2011 Selbstmord beginn, war überzeugt davon, dass Putin ihn mit persönlicher Rache verfolge. So hat er über seinen Tod hinaus einen Kommentar zur aktuellen Geschichte gezeichnet.

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Animismus
Kuratoren: Anselm Franke, Irene Albers

Künstler: Adam Avikainen, Artefakte / anti-humboldt, Angela Melitopoulos / Maurizio Lazzarato, Tom Holert, Martin Zillinger / Anja Dreschke, Dierk Schmidt, Jimmie Durham, Daria Martin, Paulo Tavares, Agentur/The Agency , Len Lye, Walt Disney, Ken Jacobs, Marcel Broodthaers, Didier Demorcy, Vincent Monnikendam, Candida Höfer, Yayoi Kusama, Victor Grippo, Leon Ferrari, Grandville , Rosemarie Trockel, Erik Steinbrecher, Daniel Spoerri, Istvan Orosz, Lars Laumann, David Maljkovic, Anna und Bernhard Blume, Roee Rosen, Hans Richter, Jean Painleve, Walon Green ...