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Image Wars. Macht der Bilder
Kader Attia, Cana Bilir-Meier, Melvin Moti, Rabih Mroué, Mario Pfeifer, Marlies Pöschl

04.07.2020 — 08.10.2020

Wenn wir uns erinnern, dann tun wir dies in Bildern: In kurzen visuellen Sequenzen wiederholen wir vor unserem inneren Auge vergangene Momente. So sind es Bilder, die sich als unsere persönliche und kollektive Geschichte manifestieren. Die Produktion, der Konsum und die Instrumentalisierung von visuellem Material wirkt fortlaufend auf das soziale und ästhetische Bildgedächtnis ein und trägt so zum Verständnis von Kultur und Zeitgeschehen bei. Mit dem Ausstellungsprojekt „Image Wars. Macht der Bilder" präsentiert das Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien Videokunstwerke von sechs internationalen Künstler_innen, die die Mechanismen zwischen gegenwärtiger Bildrezeption und Erinnerungskultur aufgreifen. Besondere Schlagkraft verfügt diese immer noch neue Macht der Bilder im Zusammenhang mit repräsentierter oder real ausgeübter physischer oder psychischer Gewalt, dem Erlebnis von persönlichem oder kollektivem Trauma. Vor diesem Hintergrund stehen politische Konflikte und die Bilder, welche uns diese erinnern lassen, im Zentrum der Ausstellung.

In der Gegenwart ist das ikonische Erinnerungsvermögen stark durch ein neues Verhältnis zum Visuellen und ein selektives Sehen beeinflusst: Seit der elektronischen Revolution sieht sich der Mensch einer bisher nie dagewesenen Quantität und Frequenz von visuellen Zeichen gegenüber. Neue Kulturtechniken und Technologien schaffen dem folgend eine zunehmende Sichtbarkeitserwartung und prägen das Denk- und damit auch Erinnerungsvermögen. Marlies Pöschl (1982 Salzburg, lebt in Paris und Wien) setzt sich in diesem Kontext in „Cinema Cristal/ سینمای کریستال" anhand der veränderten Rolle des Kinos in Teheran nach der iranischen Revolution mit der Wandelbarkeit der kollektiven Rezeption von iranischen Bewegtbildern auseinander und benennt so einen ästhetischen und sozialen Erinnerungsraum. Der Kurzfilm „This Makes me Want to Predict the Past" (2019) von Cana Bilir-Meier (1986 München, lebt in Wien und München) wiederum verdeutlicht die vielfältigen subjektiven Überlagerungen im Spannungsfeld zwischen dem Abbild von politischen Geschehnissen und der individuellen Erinnerung. Das Werk verschränkt das rassistisch motivierte Attentat im Münchner Olympia-Einkaufszentrum von 2016 mit Archivbildaufnahmen des Theaterstückes „Düşler Ülkesi" (1982, Erman Okay, Zühal Bilir-Meier).

Im Hinblick auf das historische Erinnern, insbesondere in der nachträglichen kollek-tiven Wahrnehmung von Kriegen und politischen Konflikten, kommt den modernen visuellen Medien, ob in ihrer technischen Variante als Fotografie und Film oder in ihrer elektronischen Spielart als Fernsehen und Internet, eine besondere Bedeutung zu. Das visuelle Erinnern von Gewaltbildern kann nicht gefasst werden, ohne unsere Rezeption von Gewalt, ganz gleich ob medial fixiert oder real ausgeübt, zu berücksichtigen. Zerrissen zwischen der Abstoßungs- und Anziehungskraft changiert unser Blick auf Leidensdarstellungen stets zwischen dem Zu- und Wegsehen. Melvin Motis (*1977 Rotterdam, lebt in Rotterdam) Film „Cosmism" (2015) ist ein Kommentar auf die visuelle Repräsentation von Gewalt in der Dokumentation historischer Ereignisse. Das Werk stellt menschliche Brutalität, Zerstörung und Panik der ursprünglichen Kraft und Ästhetik der Natur gegenüber in dem es ein gefilmtes Re-Enactment von Maria Stuarts Köpfung mit Found Footage der Terrorattacken vom 11. September 2001 in New York und NASA Bildmaterial kombiniert.

Heute produziert jeder Einzelne, beflügelt durch die Möglichkeiten des Digitalen, ein Mehr an Bildmaterial. Berichterstattung und Information findet nicht bloß mehr über Massenmedien, sondern auch über die sozialen Netzwerke statt. Dadurch ist das gewaltvolle Potential von Fotografien in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß in die Rechtfertigung politischer Haltungen und Aktionen involviert. „The Pixelated Revolution" (2019) von Rabih Mroué (1967 Beirut, lebt in Berlin) thematisiert den Einsatz von Mobiltelefonen während der syrischen Revolution und die Wirkung der über virtuelle und virale Kommunikationsplattformen geteilten, teils grausamen Amateuraufnahmen aus der Krisenregion. Dieser Aspekt spiegelt sich auch in der Videoinstallation „Again / Noch einmal" (2019). Der Künstler Mario Pfeifer (1981 Dresden, lebt in Berlin) rekonstruiert hier anhand der einem online verbreiteten Handyvideo folgenden Presseberichterstattung den Fall des aus dem Irak geflohenen Schabas Al-Azis, der nach einem Streit mit einer Supermarktkassiererin im sächsischen Arnsdorf an einen Baum gefesselt wurde. Die tragische Geschichte über Fremdenfeindlichkeit, Zivilcourage und Selbstjustiz verdeutlicht multiperspektivisch mit welcher juristischen, politischen und sozialen Schlagkraft die aktuelle Ökonomie der Aufmerksamkeit durch visuelles Material gesteuert wird. Systematische Bildpolitik und Framing, Inszenierung und Zensur, sind die Folgen und führen dazu, dass Bilder im übertragenen Sinne als Waffen eingesetzt werden und dazu dienen können, Meinungen zu formen und Massen zu mobilisieren.

Mitunter fühlen wir uns von den Bildern unserer Erinnerungen verfolgt. Ein Imaginier-en von Erlebtem gehört zur alltäglichen psychischen Hygiene und kann nach gesellschaftlich oder individuellen, traumatischen Erlebnissen belastende oder sogar zwanghafte Formen annehmen. Auch diese Bedeutungsebene von visueller Repräsentation wird im Rahmen der Ausstellung aufgegriffen. So thematisiert „Reflecting Memory" (2016) von Kader Attia (*1970 Paris, lebt in Berlin und Algier) das Symptom des Phantomschmerzes nach Amputationen. Die Abbilder der sich im Spiegel betrachtenden Protagonisten transportieren die Diversität zwischen individueller und kollektiver Erinnerung und zeigen nicht zuletzt auf, dass Frieden und Versöhnung immer auch Vergessen bedeuten.

Dem Bild kommt in Folge der Digitalisierung eine höhere Bedeutung zu, als dem geschriebenen oder gesprochenen Wort. Die zeitgenössische Kultur kann als visuell orientiert beschrieben werden: Unsere Bilder werden zu unseren Meinungen, unseren Handlungen, unseren Geschichten. Was wir heute sehen, wird morgen unsere Erinnerung sein. Gewaltbilder verfügen dabei über eine besonders starke Wirkung. Diese Macht der Bilder verlangt eine konsequente und breite Hinterfragung der stets konstruierten Realität. Judith Butler benennt mit dem „Akt des ungehorsamen Sehens" die Interpretation der uns durch den bereits gesetzten Rahmen aufgezwungenen Interpretation, der hinter dem Bild liegenden Bildpolitiken von Intention, Modellierung, Manipulation und Zensur. Zu einem solchen „ungehorsamen Sehen" möchte „Image Wars. Macht der Bilder" animieren und vereint deshalb sechs Videokunstwerke, die die Bildgewalt und die Gewalt in Bildern aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten.